Dima Slobodeniouk und Baiba Skride mit Schostakowitsch und Prokofjew bei der Dresdner Philharmonie
Programmänderungen sind für das Publikum in der Regel unliebsam, doch manchmal steigern sie auch die Attraktivität. Obwohl das Violinkonzert Nr. 3 von Camille Saint-Saëns das populärere ist, könnte das zweite von Dmitri Schostakowitsch am Wochenende für noch mehr Zuspruch im Kulturpalast gesorgt haben. Solistin Baiba Skride hatte sich kurzfristig zu einer Umbesetzung entschlossen, die vielen Dresdnern wohl gefallen haben mag. Immerhin ist Schostakowitsch musikalisch zumindest teilweise in der Stadt verwurzelt, seine Rezeption untrennbar mit ihr verbunden. Nicht zuletzt hat Michael Sanderling während seiner Amtszeit (2011 bis 2019) für eine umfangreiche Nachbetrachtung und Auffrischung gesorgt. Trotzdem blieb auch in seiner Ära manches Werk abseits der Sinfonien ungespielt – man staunte, im Programmheft zu lesen, die bisher einzige Aufführung des zweiten Violinkonzertes mit der Dresdner Philharmonie habe es 1996 gegeben (mit Michel Plasson, damals Chefdirigent, und Solist Maxim Vengerow).

Dima Slobodeniouk, Photo: Dima Slobodeniouk, © Marco Borggreve
Somit standen sich am Sonnabend zwei Werke gegenüber, die außer der Herkunft ihrer Komponisten noch manches verband: die episodische Anlage zum Beispiel und eine Mehrteiligkeit bzw. ein Wandel, der über die in den Sätzen formal angegebenen Teile hinweg einer eigenen Struktur folgt. Konzert wie Sinfonie verbinden Gefühle von Weite und Ferne sowie die Empfindung verschiedener Individuen über den Part der Solistin hinaus. Im Grunde gleicht die Einbindung der Soli damit den Concerti grossi, Schostakowitsch entwickelt solche selbst im Orchesterteil und stellt nicht nur Dialoge mit der Solistin her.
Solche Strukturen offenzulegen, sie sozusagen »nackt« zu betrachten, kann aber einer Entzauberung gleichkommen. Die Entfaltung bedarf daher einer Sorgfalt, welche Dirigent Dima Slobodeniouk großartig walten ließ. Stimmungen und Färbungen traten nicht dominant hervor, dafür aber die Stimmen und ihr Wandel, der sich den Abend über und in beiden Werken in vielen Instrumenten nachvollziehen ließ.
Die Offenlegung brachte manche Fragen mit sich – beispielsweise, ob Prokofjew ein Kosmopolit oder ein Entwurzelter gewesen ist, ob er (fremde) Einflüsse mehr aufnahm, als daß er solche prägte oder umgekehrt. Seine sechste Sinfonie zumindest erinnerte in Teilen an amerikanische Zeitgenossen des Komponisten – die Bekanntschaft zumindest war gegenseitig.
Dmitri Schostakowitschs Violinkonzert, gut zwanzig Jahre später entstanden, ist trotz mancher Ähnlichkeiten das deutlich modernere Werk. Das zeigt sich nicht zuletzt in der Solostimme, die sich teils eng mit dem Concerto des Orchesters verbindet, dann wieder in ausgedehnten Kadenzen und einer neuen Klangsprache deutlich hervortritt. Baiba Skride verstand es, die glatten, kantigen und flächigen Bögen scharf zu konturieren, aber auch ihre grazilen Kantilenen hervorzuheben. Für das Adagio fand sie einen lyrischen, aber nicht romantisierten Ton.
Die Dresdner Philharmonie bot ihrerseits viele Solisten auf, sorgte mit präzisen Pizzicati für dramaturgisch geschärfte Verläufe. Die Bläser hoben den ersten Satz bei Prokofjew aus einem langsamen Fluß quasi ans Licht. Die Hörner (Soli: Sarah Ennouhi) konnten zuerst (Schostakowitsch) wie Tuben klingen, dann sorgten sie mit der Celesta (Thomas Mahn) für Zauberklang. Den Schlüssel zu solchen Welten hält Dima Slobodeniouk in den Händen – auf seinen nächsten Besuch darf man gespannt sein!
16. April 2023, Wolfram Quellmalz
Am kommenden Wochenende führt Dirigentin Ariane Matiakh die Dresdner Philharmonie quasi ans Meer. Außer Felix Mendelssohns »Hebriden« stehen Robert Schumanns Klavierkonzert, Benjamin Brittens »Four Sea Interludes« sowie »La mer« von Claude Debussy auf dem Programm.