Wenn die Quartettkunst zum Quintett wächst

Elisabeth Leonskaja und das Artemis Quartett im Palais im Großen Garten

Ludwig van Beethovens Quartett Opus 18 Nr. 3 in D-Dur ist eigentlich sein erstes. Vermutlich hat er es aber noch einmal überarbeitet – sicher ist man sich heute nicht. Das Artemis Quartett hatte sich das Werk am Donnerstagabend bei seinem Besuch der Dresdner Musikfestspiele als erstes auf die Pulte gelegt und hier gleich unmißverständlich klargemacht: es geht um Energie, einen sinnlichen, gedankentragenden Strom. Es gibt Quartette, die sich an einem homogenen Orchester- oder einem gemeinsamen »Gesamtklang« ausrichten, es gibt aber auch solche, die sich aus vier Individuen fügen. Letztere sind oft die eindringlicheren, empfindsameren, spektakuläreren, selbst wenn dies ein höheres Risiko bedeutet oder manchmal die Intonation etwas leidet. Das Artemis Quartett versteht es unvergleichlich, Gesamtklang und Individualität trefflich zu verbinden

Luftig, leicht beflügelten sie Beethovens Quartett, gleich zu Beginn durften Eckart Runge (Violoncello) und Gregor Sigl (Viola) den singenden Ton ihrer Instrumente wohltuend verströmen – gerade Sigls Viola sollte noch öfter an diesem Abend betören. Trotzdem hoben die tieferen Stimmen nicht ab, im Gegenteil stellte sich im Kanon des Andante con moto ein Consort-Charakter ein – auch dieser nicht zum letzten Mal.

Im Vergleich mit Antonín Dvořáks Klavierquintett Opus 81 (A-Dur) war der strukturell ausgefeilte Beethoven dennoch »leichter«. Schwärmerisch, genießerisch ist Dvořák, von dem nun um Elisabeth Leonskaja erweiterten Kreis der Musiker beherzt ausgekostet. Wie sie im ersten Satz die Steigerung furios beschrieben, den zweiten als kleine Kammermusiksuite gestalteten, in der sich einzelne Paare oder Trios gegenüberstehen und in wunderbarer Alt-Lage melancholisch schmachten, wie das Scherzo in heiterer Gelassenheit erstrahlte – all das zeugte von tiefer innerer Verbundenheit. Gerade die den Sätzen zugrundeliegenden Tänze (Dumka, Furiant) offenbarten sich durchpulst und gelöst und fanden im Finale einen dichten Höhepunkt voll melancholischer Süße. Die Pause lud ein, sich in der kühlen Maienluft zu erfrischen, ohne dieses innere Glühen zu verlieren.

Und als wäre dies nicht genug, präsentierten Quartett und Pianistin nach der Pause noch ein Schwergewicht: Dmitri Schostakowitschs Klavierquintett g-Moll Opus 57. In Form und Ausdruck ausufernd, enthält es eine Fülle von Ideen und Klangfächern, scheint im Gegensatz zu später entstandenen Werken unbelastet – doppelbödig und vieldeutig ist es dennoch. Diese Doppelbödigkeit wurde durch Elisabeth Leonskaja und vor allem das Artemis Quartett spürbar. Geradezu orgelmächtig begannen sie das Präludium, dem Schostakowitsch eine vor allem durch die Streicher exponierten Fuge nachschickt, das Klavier ist vor allem Baßstimme, verschmolz dann wieder mit dem Quartett zu einem Gemeinsamen (wieder lag der Orgelvergleich nahe). Zart ließ Vineta Sareika ihre Violine im Intermezzo singen, larmoyant trat das Quartett danach wieder hervor, das schon in der Fuge erneut als ausgeprägtes Consort erschienen war. Im Finale belebten sich die Stimmen neu, schienen erfrischt, entlarvten aber auch das Aufgesetzt sein dieser Fröhlichkeit – ohne Netz, aber mit doppeltem Boden.

Keine Zugabe, schade, aber nach so einem weitgreifenden Programm eigentlich klar.

18. Mai 2018, Wolfram Quellmalz

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