Dresdner Barockorchester fördert erneut Trouvaillen zutage
Dresdner Barockorchester fördert erneut Trouvaillen zutage
Die Notensammlung Johann Georg Pisendels stand schon oft im Mittelpunkt gerade Dresdner Musikprogramme (und damit in diesen Seiten), am Sonnabend erklangen erneut Werke aus den ehemaligen Beständen des Kapellmeisters und der Sächsischen Hofkapelle in der Annenkirche mit dem Dresdner Barockorchester. Den Reigen eröffnete Georg Philipp Telemann – jener aus der legendären Trias mit Bach und Händel, der zwar einerseits hochgeschätzt, manchmal aber im Rang (deutlich) hinter den anderen beiden gesehen wird. Wie falsch dies ist, hat sich schon vielfach offenbart, ganz im Gegenteil kann man Telemanns Werke oft als moderner, wagemutiger oder innovativer erleben als die seiner beiden mitteldeutschen Kollegen.
So eröffnete die Sinfonia e-Moll (TWV 50:5) nicht nur im hellen, strahlenden Melos der Streicher, sondern setzt schon mit den ersten Noten besondere und ungewohnte Klangakzente, denn Flöten und Oboen, welche später auch Soli übernahmen, trugen gleich zur Klangfärbung bei. Auftaktig und frisch hatte die Sinfonia einen eröffnenden Charakter – der Begriff Ouverture wurde und wird oft synonym verwendet. Telemann sollte übrigens noch einmal folgen, denn als Zugabe erklang noch ein Menuett – erneut (wie bei Telemann oft) mit Oboen und Flöten.
Zunächst aber war die Reihe an zwei wenig bekannten bzw. vergessenen Komponisten: Von Ernst August Hassmann und einem Herrn (bzw. einer Frau) Pickel wissen wir heute nur wenig. Doch sind auch von ihnen Stücke im »Schranck No. II« überliefert. Hassmanns Concerto g-Moll für Violine, zwei Oboen, Streicher und Basso continuo betörte vor allem im wiegenden Siciliano-Rhythmus des zweiten Satzes und einem wunderbaren Fagott. Mit Ruhe schritt das Barockorchester diesen Satz aus, bevor den dritten wieder die Violine (Margret Baumgartl) beflügelte. Rhythmisch beschwingt ging es im Dreiermetrum zu Ende, wobei Hassmann noch einmal, als sei’s für eine kleine Überraschung, ein Bläsertrio aus den Oboen (Martin Stadler und Luise Baumgartl) sowie dem Fagott (Eva-Maria Horn) eingeschoben hat.
Wofür Herr oder Frau Pickel das Allegro in G-Dur geschrieben haben, läßt sich heute schwer feststellen. Vielleicht gab es noch andere Teile, welche Pisendel oder der Sammler als nicht genügend empfunden haben und nur das Allegro abschrieben, vielleicht war es eigens dafür gedacht, die bestehende Suite eines anderen Komponisten zu ergänzen – wer weiß? Im Konzert erklang das helle, freudige Stück mit wiederum ins Tutti der Streicher eingebundener Oboe als munterer Farb- bzw. Tontupfer.
Da erschien das anschließende Concerto c-Moll (RV 202) Antonio Vivaldis, zweifellos einer der größten Meister, im Vergleich schon ein wenig übermächtig. Man spürte in der Darbietung des Barockorchesters deutlich den Opernkomponisten, der einen weiten Spannungsbogen beschreiben konnte und noch im Tutti ein ganzes Theater zu »verstecken« vermochte. Gleichwohl galt es vordergründig, vor allem mit der Solovioline zu erfreuen.
Mit wundersamen Farbschatten wartete nach der Pause Johann David Heinichens Concerto D-Dur auf. Vom Baß getragen, strahlten die Streicher zunächst samtig gedämpft in tieferen Lagen, auch die Solovioline. Weshalb das so sein sollte, war klar, als die Laute (Stephan Rath) als Soloinstrument hinzutrat. Heinichen hat sie mit den Stimmen von Violine, Violoncello, Flöte und Oboe vereinigt, die anderen Solisten sowie das Streicherorchester aber auf das leisere Temperament des Zupfinstrumentes eingestimmt – bezaubernd! Nach Vivaldis strahlenden Farben erklangen jene von Heinichen wie Pastell.
Den Beschluß machte ein weiterer unbekannter Komponist. Die Suite e-Moll ist unter dem Namen »Boste« eingetragen – wer mag er gewesen sein? Auch bei ihm wechseln Streicher und Solisten vielfach, auch er hat Schattierungen in die Wechsel gelegt, dynamische Überhöhungen vorgegeben, reizvoll geriet vor allem die Aria. Schön zu wissen, daß uns Schranck No. II noch so manche Überraschung oder Entdeckung bieten wird!
27. Mai 2018, Wolfram Quellmalz