Mit der »Langen Nacht des Cellos« erreichen die Musikfestspiele einen besonderen Höhepunkt
Es wurde wirklich eine lange Nacht: als nach fast vier Stunden die Zuhörer den Kulturpalast am Montagabend verließen, ging es auf Mitternacht zu. Die meisten waren – verzaubert! – bis zum Ende geblieben, hatten gebannt gelauscht und schließlich stehend applaudiert, all jenen: David Geringas, Mischa Maisky, Alban Gerhard, Daniel Müller-Schott… Insgesamt neunzehn Cellisten waren es, die den Abend zu einem so besonderen machten, nur die zwanzigste, Marie-Elisabeth Hecker, die demnächst ein Kind erwartet, hatte kurzfristig absagen müssen. Neunzehn Weltklassecellisten (und Weltklassecelli) auf einer Bühne – das wird es wohl so bald nicht wieder geben.
Nicht in »Teilen«, in Etappen ging es in die Nacht, drei, jeweils von einer Cellogruppe gerahmt. Darin entfaltete sich eine ganze Welt: Ohrwürmer wie Rachmaninows »Vocalise« (Frans Helmerson) und Saint-Saëns »Schwan« (Jan Vogler) durften wohl nicht fehlen, es gab verblüffende, beeindruckende, überraschende und betörende Werke, Kleinode und große Würfe, phantastische und »abgefahrene« Stücke…
Besonders berührend hatte die letzte Etappe des Abends begonnen: Jan Vogler, Daniel Müller-Schott und Christian Poltéra spielten mit Julien Quentin als Reminiszenz an den verehrten Lehrer Heinrich Schiff David Poppers Requiem für drei Violoncelli und Klavier Opus 66 und erinnerten daran, daß hier einer fehlte – Heinrich Schiff war 2016 verstorben.
Harriet Krijgh hatte den Reigen mit zärtlicher Hingabe für Chopins »Introduktion et Polonaise brillante« begonnen, begleitet von Julien Quentin (später fanden noch Benjamin Perényi und Lily Maisky zu kongenialen Partnerschaften), und die balladesken Züge des Opus 3 offenbart. Mit Andreas Brantelid gab es die erste von vielen Überraschungen: Wann hört man schon den samtig-emphatischen Gesang Nikolai Mjaskowskis zweiter Cellosonate? (Selbst in Musikhochschulen kaum einmal.) Christian Pierre-La Marca ließ sein Instrument im »Intermezzo e Danza Finale« aus Gaspar Cassadós Suite für Violoncello solo flüstern, summen, schnalzen, tanzen, vibrieren, mehrstimmig singen und adelte den Saal, der diese Solodarbietung veredelte. Alban Gerhard verblüffte mit den phantastischen, glissandierenden Tonmalereien György Ligetis – wer hatte da noch Angst vor neuer Musik? Jacques Offenbach wiederum war keineswegs nur ein Komponist heiterer Opern, sondern auch – Cellist. Und hat der Nachwelt ein »Concerto militaire« hinterlassen, von Ivan Monighetti funkensprühend vorgetragen, der in der Kadenz bis zu »Carmen« ging – ohne Gesang geht es eben nicht mit einem Cello.
Miklós Perényi ließ Zoltan Kodálys Sonatine im Nachtschimmer leuchten, Daniel Müller-Schott legte Ravels irisierendes »Pièce en forme de Habanera« bloß, David Geringas leitete von John Coriglianos Phantasien über Bach direkt zu dessen G-Dur-Prélude über, auch Mischa Maisky verband zum Schluß Camille Saint-Saëns und Claude Debussy attacca und ließ sein Montagnana-Cello im schönsten Mezzo Daliahs vibrieren. Zuvor hatten Narek Hakhnazaryan seinen virtuosen Tanz über die Saiten mit grazilem Flageolett begonnen (Paganini / Variationen über »Moses in Ägypten«) und Christian Poltéra den ersten Satz aus Antonín Dvořáks Violinsonate mit romantischer Leichtigkeit entfaltet.
Alle (Cello-)Wege führen nach Dresden, hatte der Cellolehrer und Musikantiquar Ullrich Schwarz in einer Genealogie gezeigt. Und dies offenbarte: ohne Frans Helmerson wäre dieser Abend wohl nicht möglich gewesen, denn über seinen eigenen Beitrag hinaus waren allein sechs der anwesenden Cellisten einmal Schüler von ihm gewesen. Wie Kian Soltani, der eine Studie Thomas Demengas aufgeführt und die Geräusche aus den Straßen von New York dargeboten hatte: Fröhlichkeit mischte sich mit Autohupen, Rasern, Schiffssirenen, aber auch Ruhemomenten und reinem Celloton – vielleicht war es jene Straße, in der sich der Übungsraum von Jan Vogler findet?
Immer noch nicht genug? Nach Zwölf, sieben, drei und acht Cellisten sowie drei plus Klavier fanden schließlich sechzehn zum Schlußgesang, einer gedoppelten Oktettbearbeitung russischer Volkslieder und verzweifachten die Stimmen der Instrumente am Ende noch einmal durch die eigenen. Und selbst das war NOCH nicht genug – da half nur eines: das Air aus Bach Orchestersuite D-Dur.
Nach dem Konzert gibt es gewöhnlich Blumen. Das wäre nicht der Erwähnung wert, hätten die Solisten des Abends ihre nicht spontan dem Initiator, Intendanten und Kollegen Jan Vogler gegeben – es war sein Abend!
22. Mai 2018, Wolfram Quellmalz