Überfälliges Debüt

Sir Antonio Pappano dirigierte (endlich) die Sächsische Staatskapelle

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Jan Lisiecke und Sir Antonio Pappano teilten sich für die Zugabe den Klavierhocker, Photo: Sächsische Staatskapelel Dresden, © Matthias Creutziger

Im Haus der Sächsischen Staatsoper ist er zwar schon gewesen, vor drei Jahren mit seiner Accademia Nazionale di Santa Cecilia, das Dirigat bei der Sächsischen Staatskapelle Dresden nun war das erste. Für das letzte Sinfoniekonzert der Spielzeit 2017 / 2018 kam Antonio Pappano, der Italiener mit den englischen Wurzeln, nun wiedernach Dresden zurück. Damals, 2015, war dem Solisten Jan Vogler übrigens mit dem letzten Ton der Rokoko-Variationen der Bogen zerbrochen. Derlei blieb Musikern und Besuchern dieses Mal erspart, eine Analogie gab es aber doch: nach der Tondichtung »Die Toteninsel« von Sergej Rachmaninow führte Pappano nun dessen zweite Sinfonie, die – zumindest in Teilen – in Dresden entstanden ist, auf.

Doch zunächst galt die Aufmerksamkeit Robert Schumanns Klavierkonzert a-Moll Opus 54 mit dem kanadischen Pianisten Jan Lisiecki – auch dieses ist (zumindest zum Teil) in Dresden entstanden und hier (1845 im Hôtel de Saxe) uraufgeführt worden. Schumanns Dresdner Jahre waren von einer wahren Schaffensflut gekennzeichnet und brachten eine Vielzahl romantischer Kammermusikstücke und Lieder hervor. Die Revolution und der Dresdner Maiaufstand 1849 prägten die Zeit aber auch ganz unromantisch. Wie nun das Konzert »lesen«? Romantisch oder nicht? Lisiecki und Pappano fanden zu einer ungemein lichten, die Aufbruchsstimmung unterstreichenden Interpretation. Luzide formten sie die Motive aus, ganz wunderbar war die Klarheit, mit der man noch kleinste Bläsersoli nachhören konnte, gleichzeitig wurden so Bezüge der Motive untereinander deutlich. Jan Lisiecki bezauberte mit perlender Leichtigkeit und einem sehr schonenden, dosierten Pedaleinsatz – statt einer sanften, weichen Melodieführung stellte er die federnde Leichtigkeit heraus sowie – gerade im zweiten Satz – die Kantabilität des Klavieres.

Antonio Pappano folgte dem Ansatz (oder er deckte sich mit dem seinen), und so ergaben sich immer wieder beglückende Momente auch in kleinen Sequenzen, etwa der kurzen Antwort der Violinen auf den Pianisten im ruhigen Mittelteil des Allegro affettuoso. Dazwischen setzen Flöte, Klarinette und Oboe feine Tupfer…

Die Kadenz des ersten Satzes spielte Jan Lisiecki, als sei sie das impressionistische Bild von Nachtfaltern, der Sanftheit des Intermezzo fügte er die Lebendigkeit eines munteren Baches hinzu, um gleich darauf (Allegro vivace) um so behender loszustürmen. Zunehmend stürmisch formte Antonio Pappano das Finale als expressionistisches Gegenstück zur Kadenz.

Wir weit das gemeinsame Verständnis von Pianist und Dirigent ging, bewiesen beide noch in einer vierhändig präsentierten Zugabe: der Nummer 1 aus Robert Schumanns »Bilder aus Osten«.

Und dann Rachmaninow. Wie schon vor einem Monat (Jean Sibelius‘ »Lemminkäinen-Suite«) fragte man sich danach, weshalb solche Sinfonien oder Tondichtungen eigentlich nicht längst zum Kanon der Orchesterwerke gehören, sondern nur so selten gespielt werden. Was kennt man denn von Rachmaninow? Das zweite Klavierkonzert, das zweite Klavierkonzert und das zweite Klavierkonzert. Und dann vielleicht noch das dritte. Oder die »Toteninsel«. Aber dann?

Die Sächsische Staatskapelle und Antonio Pappano offenbarten in der zweiten Sinfonie eine feingliedrige Farbdichte, einen schieren Bildersturm. Immer wieder wechselten Leuchten und dräuende Düsternis. War das im Allegro molto (einem versteckten Scherzo) nun Funkenflug oder Schneegestöber? Doch haftete dem Werk keine »Erdenschwere« an – selbst ohne die Glöckchen hätte die Sinfonie nichts von ihrer Leichtigkeit eingebüßt – und Pappano lächelte den Violinen zu.

Beruhigend und wehmütig folgte das Adagio, für sein betörend einschmeichelndes Solo hob Antonio Pappano Robert Oberaigner am Ende als Solisten besonders heraus. Doch bei solcher Raffinesse können auch die Violinen singen. Spätestens da war klar, weshalb der Dirigent bei diesem Werk die deutsche Sitzordnung mit den Violinen gegenüber bevorzugte. Und wer mochte, fand ganz große Gebilde und Strukturen in der Musik, Stufungen mit Bruckner’scher Schrittweite, Anklänge an Wagners Harmonik… Rachmaninow ist also mehr als ein zweites Klavierkonzert. Mit musikalischem Glanz verabschiedete sich das Orchester in die Sommerpause.

10. Juli 2018, Wolfram Quellmalz

Tip: Das Konzert wird heute noch einmal wiederholt und auf mdr Kultur sowie mdr Klassik übertragen.

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