»Als Bach nach Dresden kam«

Lesung und Musik in der Konzertreihe »Tastenwelten«

Die Hauskapelle des Dresdner Taschenbergpalais‘ beherbergt seit zwei Jahren die »Tastenwelten«, deren Untertitel »Bach in Dresden« bereits musikalisch fokussiert. Oft sind hier Pianisten oder Cembalisten zu Gast, doch die Kammermusikreihe birgt mehr, auch Johann Sebastian Bachs Cello-Suiten waren bereits zu hören.

Am vergangenen Wochenende rückte der Untertitel sozusagen nach oben, denn neben Jan Katzschke, der die Musik beitrug, war der Dresdner Autor Ralf Günther gekommen und las aus seinem neuen Buch »Als Bach nach Dresden kam«.

Thematischer Mittelpunkt war jener legendäre Wettstreit zwischen dem hochberühmten französischen Tastenvirtuosen Louis Marchand und dem aufstrebenden, selbstbewußten Johann Sebastian Bach aus Weimar, der kurz davor stand, den »Sprung« in die Welt der großen Höfe zu schaffen. Marchand, sechzehn Jahre älter als Bach, reiste als verehrter Virtuose durch Europa und gab Konzerte. Dabei war ihm die Form des Wettbewerbes oder Wettstreites, bei dem die Kunst vornehmlich darin bestand, spontan zu improvisieren, keineswegs neu. Im Gegenteil scheute Marchand sie nicht. Nur jenes »Duell«, wie Ralf Günther es nennt, in Dresden fiel aus. Angeblich habe Louis Marchand »gekniffen« …

Solche Geschichten dienen der Legendenbildung und -pflege, doch an Legenden darf auch gezweifelt werden. Forscht man nämlich nach, stößt man zunächst auf Lücken. Genau diese zu füllen, ist Sache des Autors. Und da Ralf Günther kein Sachbuch, sondern einen historischen Roman geschrieben hat, darf er mit dem gefundenen Faktenmaterial frei umgehen. Mehr noch: er kann – darin sieht er selbst einen großen Reiz – eine dritte Person in den Mittelpunkt rücken.

Bei Günther ist es Jean-Baptiste Volumier, ein in den spanischen Niederlanden geborener und am französischen Hof ausgebildeter Violinvirtuose, der es in Dresden (historische Tatsache) zum Konzertmeister der königlichen Hofkapelle gebracht hat. Ralf Günther läßt ihn vom noch recht unbekannten Bach aus Weimar hören und den Orgelwettstreit für August den Starken ausrichten.

In vier Teilen las der Autor über die Idee des »Orgelduells« und führt den jungen Organisten Anton Schultz aus Delitzsch ein. Der ist – im Gegensatz zu Bach – noch nicht einmal ansatzweise berühmt, aber forsch (wenn nicht frech) genug, sich für den Wettbewerb anzumelden. Später wird Ralf Günther ihm Gelegenheit geben, sein Können öffentlich vorzuführen.

Eine Schlüsselszene des Buches spielt sich an der Fritzsche-Orgel der Schloßkapelle ab, nur wenige Meter vom Konzertort dieses Sonnabends entfernt. (Später, nach der Konversion des Hofes, wurde die nicht mehr gebrauchte Kapelle umgebaut und erst in unseren Tagen rekonstruiert.) Siebzehnhundertsiebzehn läßt Ralf Günther an diesem Heiligen Ort (hier wirkte Heinrich Schütz!) Johann Sebastian Bach in einem Konzert spielen. Jan Katzschke, ein Freund des Autors, hatte dem noch geraten, Bachs Musik nicht zu beschreiben. Letztlich tut es Günther auch nicht, er beschreibt vielmehr den Moment des Konzertes, des Wirkens, des Beeindruckt- und Verzücktseins, was ihm so kunstvoll gelingt, wie es die Musik verdient.

Bei Ralf Günther wohnt Louis Marchand diesem Konzert verkleidet bei. Er ist derart beeindruckt, daß er sich zur Flucht entschließt …

Ob es so war? Nicht unwahrscheinlich ist eine Variante (auch für die Musikwissenschaft), daß Marchand aus ganz anderen Gründen floh: der Organist des Hofes von Versailles hatte beträchtliche Schulden. Möglich, daß ihm ein Gläubiger auf den Fersen war.

»Nötig« hätte er die Flucht wohl kaum gehabt, selbst dann, wenn er Bach im Spiel oder in der Improvisationskunst wirklich unterlegen gewesen sein sollte. Jan Katzschke spielte Werke aus dem ersten und zweiten Orgelbuch Louis Marchands, die von höchster Eleganz (Prélude 2. Buch) waren, sich kraftvoll entfalteten (Chaconne) und die Zuhörer mit leichtgewichtiger Feingliedrigkeit (Gavotte) gewannen. Und auch die Stücke des ersten Buches konnten mit Jan Katzschke am Cembalo hinsichtlich ihrer Virtuosität wie im Ausdruck überzeugen – Meisterwerke sind es ganz sicher!

Johann Sebastian Bach behielt an diesem Abend dennoch die Oberhand, zumindest in der Abfolge, denn zum Schluß ließ Jan Katzschke die Suite G-Dur (BWV 816) aus den französischen Suiten erklingen.

9. September 2019, Wolfram Quellmalz

Übrigens: Auch die Fritzsche-Orgel der Schloßkapelle soll rekonstruiert werden. Anders als im Fall der Kapelle, zu deren Rekonstruktion wenigstens Bruchstücke dienten sowie – ganz wesentlich! – ein Kupferstich von David Conrad (1676), gibt es dafür aber keine erhaltenen Bestandteile und kaum historische Aufzeichnungen. Die Dokumentationen beschränken sich auf die Materiallisten vom Bau der Orgel! Erhaltene Originalregister anderer Fritzsche-Orgeln sollen diese Lücken schließen helfen – womit die Begriffe »Originalität« und »Rekonstruktion« jedoch arg gedehnt werden.

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Ralf Günther »Als Bach nach Dresden kam«, Kindler, fester Einband, 157 Seiten, 16,- €, auch als Hörbuch (12,99 €)

nächstes Konzert der Reihe: 8. Dezember, 17:00 Uhr, Hauskapelle (Hotel Taschenbergpalais, Dresden), »Adventmusik«, Hirtenmusiken und Texte aus dem 17. und 18. Jahrhundert mit Cornelius Uhle (Gesang) und Jan Katzschke (Cembalo)

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