Zauberhafte Musikstunde auf Schloß Bieberstein
Alte Instrumente locken in der Regel nur die Freunde Alter Musik an. Die gibt es in Städten wie Köln oder Dresden, doch würden so viele in ein Schlößchen auf dem Lande kommen, irgendwo zwischen Freiberg und Nossen, zu einem Kammerabend mit Pianoforte, Traversflöte, Violine und Violoncello? Hier erwartete man nicht unbedingt das »große Publikum«, doch – weit gefehlt! Zu den Silbermann-Tagen war der Festsaal des Schlosses Bieberstein in Reinsberg ausverkauft. Nicht zuletzt, weil viele den Service des Veranstalters mit einem Bustransfer genutzt hatten.
Das Haus Bieberstein erwies sich als wahrlich märchenhafter Ort, weshalb hier dem Veranstalter und dem ortsansässigen Biebersteinforum noch vor der Konzertbesprechung ein Lob gelten soll: Lichter, Kerzen, Blumen; in fünf Nebenräumen des Festsaales konnte man sitzen und sich einstimmen, wofür diverse Kleinigkeiten gereicht wurden. Kein Wunder, daß nach dem Konzert viele der Besucher noch ein wenig blieben.
Eine Pause hatte es nicht gegeben, denn Alte Instrumente, auch wenn es sich »nur« um den Nachbau eines Pianofortes von Gottfried Silbermann (nach dem Original des Germanischen Nationalmuseums in Nürnberg) handelt, sind empfindlich. Das Klavier hatte damals noch keinen gußeisernen Rahmen, bestand aus Holz, die Hämmerchen (daher auch die Bezeichnung »Hammerflügel«) aus Pergament (!) und Leder. Schwankungen der Temperatur und vor allem die Luftfeuchtigkeit setzen ihnen bzw. ihrer Intonation zu.
Daher hatte der Pianist und Cembalist Lorenzo Ghielmi darum gebeten, ohne Unterbrechung spielen zu dürfen. Begleitet wurde er von Jan de Winne (Traversflöte), François Fernandez (Violine) und Anna Camporini (Violoncello). Johann Sebastian Bach, der Silbermanns damals brandneue Instrumente sicher kannte (und vielleicht sogar eines besaß) gehörte ebenso zum Programm wie Johann Martin Blochwitz. Dieser, Flötist und ein Zeitgenosse Bachs, hatte »Sechzig Arien vor Violino oder Hautbois absonderlich vor Flute Traversiere nebst Basso Continuo« verfaßt und in Freiberg veröffentlicht. Eine Suite daraus in c-Moll war Lorenzo Ghielmi selbst transkribiert.
Begonnen hatte der Abend aber mit einer Sonata F-Dur nach Bachs Triosonate BWV 525 (für die Orgel). Schnell wurde klar: der Begriff des »Quartetts« (für vier eigenständige Stimmen) paßte zwar, treffender bezeichnet aber »Ensemble« (französisch »miteinander«), was hier zu erleben war. Oder der Name »La Divina Armonia« (etwa »Die göttliche Harmonie«), welchen sich die vier gegeben haben. In Duetten oder Trios flochten sie ihre Stimmen zusammen, waren mal Sänger, mal Begleiter, schon hier fiel das Fortepiano auf, welches mit dem Cello zu einer überaus warmen Baßbegleitung fähig war, aber ebenso als Solist hervortreten konnte. Oft blieb es im Hintergrund, dann wieder trat es mit leichtem »Gitarrenakzent« hervor.
Zu welch Tönen und Farben der Hammerflügel fähig ist, zeigte sich noch mehr in Blockwitz‘ Suite: per Registerzug (noch hatte das Klavier keine Pedale) lassen sich Dämpfung und Position der Hämmer ändern, sogar getrennt für Baß und Diskant. Manchmal erreicht es damit gar den Klang eines Psalters (»Hackbrett«)!
Mindestens in Potsdam hat Johann Sebastian Bach gleich mehrere Silbermann-Flügel erlebt. Für Friedrich II. improvisierte er spontan über ein vom König vorgegebenes Thema das »Musikalische Opfer« (BWV 1079). La Divina Armonia trat dafür wieder als Ensemble à quattro zusammen, doch variierte die Stimmzusammensetzung von Satz zu Satz. Erstaunlich war schon das einleitende Ricercar (welches an Domenico Scarlattis »Katzenfuge« erinnerte), in wechselvollen Duetten und Trios ging es danach weiter. Viele der Canone enden mit öffnenden Figuren oder werden leiser, als stellten sie eine Frage in den Raum – so blieb in den kleinen Pausen die Spannung erhalten, selbst dann, wenn ganz kurz nachgestimmt werden mußte. Die Teile VII (Canon à 2 per tonos) und VIII (Fuga canonica in epidiapente) waren musikalische Höhepunkte – artifiziell, doch verloren sie nicht einen natürlichen Gestus und Atem.
Mit einer Triosonate schließt das »Musikalische Opfer«, allein das Andante daraus war ein genußvoller Gesang! Lorenzo Ghielmi hatte schon im Programmheft einen höchst interessanten Text beigesteuert und stand auch nach dem Konzert noch lange für Gespräche zur Verfügung. Wie schön, wenn jemand so bewandertes Fragen neu stellt oder festhält, daß etwas so gewesen sein könnte. Zumindest kann man sich wohl von der bisherigen Auffassung, Silbermann und Cristofori haben gleichzeitig und unabhängig voneinander das Pianoforte erfunden, verabschieden. Entstanden ist das Instrument vermutlich schon vor 1700 in Florenz. Gottfried Silbermann hat es vielleicht durch einen der italienischen Sänger des Dresdner Hofes kennengelernt. Ob es so war? Silbermanns Kunst wie der Musik dieses Abends tut es keinen Abbruch!
14. September 2019, Wolfram Quellmalz
Die 23. Silbermann-Tage gehen an diesem Wochenende mit der Finalrunde des Internationalen XIV. Gottfried-Silbermann-Orgelwettbewerbes und Konzerten in Freiberg zu Ende. Weitere Informationen unter: http://www.silbermann.org