Chor auf einem Langzeithoch
Es ist schon verblüffend: das Vocal Concert Dresden ist einer der besten Chöre, nicht nur der Stadt, sondern der Region oder gar Deutschlands. Dabei ist er – auch wenn viele der Mitglieder über eine Gesangsausbildung verfügen – kein professionelles Ensemble. Das Singen geschieht »nebenbei«, neben einem Hauptberuf, ist aber keine Nebensächlichkeit. Das kann man immer wieder erleben, oft! Neben vielen Konzerten mit wechselnden Programmen zeugt eine beachtliche Zahl von Aufnahmen von dieser Regheit. In der Kreuzkirche ist das Vocal Concert Dresden dasjenige Ensemble, das nach dem Kreuzchor die meisten Veranstaltungen bestreitet. Am Sonnabend war es wieder zu erleben.
Mit seinem Leiter Peter Kopp, der Kreuzkirche seit vielen Jahren verbunden und seit zwei Jahren Rektor der Evangelischen Hochschule für Kirchenmusik Halle, erkundet der Chor manche musikalische Regionen und kann entsprechend mit Neu- und Wiederentdeckungen überraschen (wie zuletzt mit der CD »Freimaurermusik«, unsere Rezension finden Sie hier: https://neuemusikalischeblaetter.wordpress.com/2019/09/09/keine-halbe-sache/). Die Kreuzvesper begann mit einem Werk des Brahms-Freundes Heinrich von Herzogenberg, der in seinen »Liturgischen Gesängen« unter anderem einen Text aus Lukas 1, 46 (»Meine Seele erhebt den Herrn«) vertont hatte. Das tiefromantische Werk erklang hier wunderbar berührend und »holte« wohl jeden Besucher »ab«. Doch gerade solche Musik verlangt das rechte Maß, um nicht übertrieben zu sein – »rührselig« ist etwas anderes, als zu Tränen rühren! Letzteres kann das Vocal Concert seit langem immer wieder. Erstaunlich, daß es bei der vergleichsweise hohen Zahl der Anlässe keine »Verschleißerscheinungen« gibt. Nicht zuletzt besetzt der Chor Solistenrollen jederzeit erstklassig aus den eigenen Reihen.
Ob ein Kernrepertoire wie Heinrich Schütz (»Unser Wandel ist im Himmel« / SWV 390, Deutsches Magnificat / SWV 494) oder Gottfried August Homilius (»Die Elenden sollen essen«), ob Komponisten wie Albert Becker (»Gib dich zufrieden und sei stille«) oder Johann Adam Hiller (»Das rechte Leben«) – Peter Kopps Vocal Concert verfügt über Polyphonie und Harmonie, kann Wohlklang hervorrufen und Akzente dramaturgisch klug setzen – erstaunlich!
Mitgestalter der Vesper war KMD i. R. Christian Thiele (Orgel), der Max Drischners Sonnen-Hymnus (Passacaglia) E-Dur in den Raum fluten ließ. Von zarten Gold- und Orangetönen des Sonnenaufgangs entfaltete er stufenweise ein Kaleidoskop von funkelnden Farbprismen bis zum strahlenden Gelb-weiß.
16. September 2019, Wolfram Quellmalz