Warum Sie den Weltuntergang nicht verpassen sollten

»Le Grand Macabre« noch dreimal an der Dresdner Semperoper

György Ligetis einzige Oper persifliert Figurentypen, spiegelt sie in einem typischen Machtsystem und verzerrt alles ins Groteske.  Nekrotzar, der Fürst der Hölle, ruft den Weltuntergang aus. Manche bemerken davon nicht viel, wie Piet vom Faß, dessen Wahrnehmung durch Alkohol eingeschränkt scheint. Er läßt sich als Diener  einsetzen, Armanda und Amando, ein Liebespärchen, haben nur Augen, Ohren und Hände für sich. Der Rest der Gesellschaft, die Minister und Astronomen, geraten in ein turbulentes Endzeitdurcheinander …

Im Text der Oper steckt jede Menge Humor. Vieles ist derb, wenig nur eine Andeutung. Es lohnt, den Text zu verstehen, was in Dresden leicht ist. (Und wenn es einmal nötig sein sollte, kann man die Übertitel mitlesen.) Nur ablenken lassen sollte man sich dabei nicht, denn Calixto Bieito läßt ein allzu pralles Feuerwerk zünden. Vor allem die ständig auf eine Weltkugel projizierten Bilder (Video: Sarah Derendinger) sind wenig witzig, oft auch wenig geistvolle, dafür derbe, vulgäre Illustrationen all dessen, was der Text sagt – man traut den Theaterbesuchern offenbar nicht zu, daß sie mitdenken oder sich etwas vorstellen können. Schon zu Beginn versucht das Inszenierungsteam, den Skandal der Uraufführung (oder manch anderer Ligeti-Werke) künstlich nachzustellen, mit im Publikum sitzenden »Buh!«-Rufern, doch fehlt es dabei an Glaubwürdigkeit, Witz und Suggestionskraft gehen verloren.

Daß man trotzdem Spaß haben kann, liegt vor allem an einem: Omer Meir Wellber, der für Ligetis Humor zu haben ist. Dabei vergißt er nicht, in der Musik das zu wecken, was der Bilderflut fehlt: die Frische. Und so können die Sänger schließlich agieren, denn auch das Bühnenbild, ein in Schleifen verlaufende Bahn um eine Erdkugel (Bühne: Rebecca Ringst) ist gut.

Die Sänger tauchen in ihre Rollen richtiggehend ein. Wie das Orchester muß auch der Chor (Jan Hoffmann), teilweise mit Solisten, von hinten, von der Seite, aus den Rängen spielen und singen. Schon der erste Auftritt Piets vom Faß (Gerhard Siegel) ist ein Höhepunkt: die Zeile »Dies irae« (Tag des Zorns) kennt man aus sakralen Werken, doch so lustvoll hört man es in keinem Requiem! Markus Marquardt stellt Nekrotzar als teuflischen Spieler dar, der schließlich erkennen muß, daß auch er nicht alle Trümpfe in der Hand hält. So richtig »schwarz« oder »weiß«, wie es der Schwarze (Matthias Henneberg) und der Weiße Minister (Aaron Pegram) vortäuschen, ist die Welt eben nicht. Mescalina (Iris Vermillion), die Frau des Astronomen, gehört in einen Reigen ambivalenter Figuren, die mit Hingabe dargestellt und gesungen werden. Das Ende ist so trunken wie der Anfang – wer Durst hat, lebt!

Also: keine Angst vor Ligeti – so bald können Sie das Werk vielleicht nicht wieder erleben!

11. November 2019, Wolfram Quellmalz

Noch dreimal in dieser Spielzeit: »Le Grand Macabre« gibt es am 13., 26. und 28. November (Beginn jeweils 19:00 Uhr, Dauer: ca. 105 Minuten, keine Pause)

Eine ausführliche Rezension erscheint in Heft 35 der Neuen (musikalischen) Blätter.

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