Spukig, psychologisch, erhellend

Sächsische Staatskapelle mit Aribert Reimann und Béla Bartók

Im vierten Sinfoniekonzert der Spielzeit hatte Aribert Reimann, der Capell-Compositeur dieser Saison, seinen ersten Auftritt. Im Mittelpunkt standen zunächst die »Neun Stücke für Orchester« von 1993. Sie gehören zu den etabliertesten Werken des Komponisten und haben bereits Eingang in den Kanon der Zeitgenössischen Musik gefunden. Dabei sind sie nicht nur gut verträgliche, »zumutbare Kost«, sondern können mit ihrer reichen Verarbeitung beeindrucken. Nur um die zwei Minuten sind die Stücke jeweils lang, und doch – es sind keine »Miniaturen« im eigentlichen Sinn. Zu groß sind die Kontraste, zu groß sind die Entwicklungen, die Reimann auf kleinstem Raum vollzieht. Zwar wechselt er mitunter den Charakter, läßt einen ruhigen Anfang auf ein energetisch aufgeladenes Ende folgen, doch birgt jeder der Sätze in sich einen (oft) frappierenden Wandel. Dabei spielt er gleichzeitig mit weiteren Kontrasten, in Soli, denen einzelne Instrumentengruppen gegenüberstehen.

David Robertson verleitete die Sächsische Staatskapelle zu suggestiven Klangfarben, zu spannungsgeladener Dichte und expressiver Ornamentik – so spannend darf es gerne weitergehen! Man darf sich also auf die nächsten Begegnungen freuen, den Komponisten freute dieser Einstieg offensichtlich sehr.

Regelrecht spukig wurde es im Anschluß mit Béla Bartóks Oper »Herzog Blaubarts Burg«. Für die konzertante Aufführung des Einakters, der dem Dirigenten besonders am Herzen liegt, hatte dieser sich entschieden, den Einführungsmonolog (auf ungarisch wie der gesungene Text) selbst zu sprechen – das hätte er lieber bleiben lassen sollen. Denn ohne Mikrophon war Robertson kaum präsent (mit Mikrophon hätte es künstlich geklungen), somit nicht zu verstehen. Selbst wenn kaum jemand Ungarisch verstanden haben dürfte, so wäre das klingende Melos doch wichtig gewesen – versierte Sprecher werden leider oft unterschätzt. (Auch ein Sänger ist nicht automatisch ein guter Sprecher.)

Doch dieser blasse Eindruck war mit den ersten Takten wie weggewischt. Vor allem Elena Zhidkova begeisterte als einfühlsame, lyrische Judith, der auch expressive Farben glänzend gelangen. Wunderbar waren ihre Vokalformungen, hingebungsvoll gerieten die slawischen Betonungen – eine liebende Judith hatte sich Herzog Blaubart zugewandt! Matthias Goerne konnte dem nicht ganz entsprechen, wirkte etwas matter, dunkler. Aber vielleicht sieht er die Figur des Herzogs auch anders, hat sie schon zu Beginn merklich »dunkler«, das Ende fühlend angelegt. In der emotionalen Ausdeutung ließ Goerne kaum zu wünschen übrig, kann nach wie vor mit reichem Vibrato einen ganzen Raum in Schwingung versetzen, läßt mitfühlen. Daß seine Verständlichkeit dabei nicht so exzellent gewesen sein mag wie bei Zhidkova – wer mochte das feststellen?

So verdüsterte sich am Ende der ganze Saal – nur mit dem Licht hatte David Robertson spielen lassen. Die Farben und Schatten des Orchesters waren dabei vielfältig und psychologisch ausgewogen.

11. November 2019, Wolfram Quellmalz

Heute noch einmal: 4. Sinfoniekonzert der Sächsischen Staatskapelle Dresden mit Werken von Aribert Reimann und Béla Bartók, David Robertson (Dirigent), Elena Zhidkova (Mezzosopran) und Matthias Goerne (Bariton)

Portraitkonzert für Aribert Reimann mit der Kapella 21 (Musikerinnen und Musiker der Sächsischen Staatskapelle): http://www.staatskapelle-dresden.de/konzerte/sonderkonzerte/1920/portraetkonzert-des-capell-compositeur-aribert-reimann/

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