Ragna Schirmer in den Richard-Wagner-Stätten Graupa
Abwechslung macht Konzerte nicht zwangsläufig interessant, wichtiger ist eine Vertiefung. Insofern kann es gerade interessant sein, Stücke wieder zu hören. Ragna Schirmer feierte das Beethovenjahr am Sonnabendnachmittag im Jagdschloß Graupa mit zwei seiner Sonaten, aber auch mit zwei Stücken, die sich auf Beethoven beziehen. Beide, sowohl Robert Schumanns Variationen über ein Thema aus der siebenten Sinfonie wie John Coriglianos Fantasie on an Ostinato (for piano), welche dasselbe Motiv aufgreift, hatte die Pianistin schon vor vielen Jahren auf CD eingespielt und nun wieder ins Programm genommen. Das war offenbar interessant genug – die Richard-Wagner-Stätten Graupa durften sich über einen bis auf den letzten Platz besetzten Saal freuen.
Da Schumanns Werk kein fester Zyklus ist, sondern eine lose Folge von Skizzen ohne Opuszahl, und Corigliano seinem Wettbewerbsstück mittels Aleatorik bereits die Veränderlichkeit in die Noten geschrieben hat, kamen zwei andere Fassungen als bei den damaligen Aufnahmen zur Aufführung. Deren Beethoven-Impuls verstärkte Ragna Schirmer noch, indem sie die jeweils folgende Sonate attacca anschloß.
Bereits Schumann spielte in seinen Variationen nicht allein mit einem Thema, um es in unterschiedlichen Charakteren zu spiegeln, er folgte dem roten Faden der Melodik ebenso wie der Dramaturgie, der rhythmischen Struktur. Ragna Schirmer hob den Wechsel von Beethoven’schen Impetus und typisch Schumann’scher Grübelei hervor. Der betonte Akkord des Beginns – ein Anstoß! – sollte sich in ähnlicher Lesart nach der Pause bei Corigliano wiederholen.
Beethovens Opus 53 »Waldstein« hat Ragna Schirmer nicht nur auf ihrer letzten CD »Madame Clara« eingespielt, für die sie historische Programme Clara Schumanns aufgenommen hat, sie ist vielleicht auch eine der derzeit am häufigsten gespielten Sonaten. Und nach dem Clara-Jahr spielt die Erfahrung daraus weiter mit – wie für ihren Vater Friedrich Wieck war Beethoven für sie ein maßgeblicher Komponist. Die Faszination des Stückes offenbarte Ragna Schirmer besonders in den Verfeinerungen, auf simple Betonungen verzichtete sie. Ein nach oben laufendes Thema muß eben nicht zu einem Höhepunkt beschleunigen, es kann vielmehr Freiheit atmen. Perkussiv stürmte das Allegro con brio, nach welchem Ragna Schirmer Adagio molto zu sinnen schien. Doch Beethoven war nicht nur Eroberer, er war ein Befreier – von überfließender Lieblichkeit war das abschließende Rondeau, ohne jede strukturelle Gezwungenheit!
John Corigliano hat nicht nur Beethovens Akkordschlag aufgehellt, Ragna Schirmer spürte bei ihm der Verwobenheit von Melodik und Rhythmik nach. Ist letztere vom zwingenden Maß befreit, kann sie geradezu sinnlich werden. Und doch führte Coriglianos Fantasie zwingend zum Ziel (zurück): Beethoven. Auch in dessen letzter Sonate Opus 111 umspielen sich Rhythmik, Harmonik und Melodik, heben den thematischen Gedanken über eine schlichte Veränderlichkeit. Die Umschlingung führte in die musikalische Vollendung, der nichts mehr folgen sollte, weshalb die Pianistin auf eine Zugabe verzichtete.
23. Februar 2020, Wolfram Quellmalz