Ensemble der Semperoper vor der Sommerpause noch einmal auf der Bühne
Markus Marquardt (links außen), Sebastian Ludwig und KS Ute Christa Mayer (links), Mitte: Liederabend »Sehnsucht« mit Jürgen Müller, Tilmann Rönnebeck, Michal Doron, Katerina von Bennigsen, Aaron Pegram, Hans Sotin; dem Publikum zugewandt: Repetitor Hans Sotin (rechts), Gerhard Posselt und Alexandros Stavrakakis (rechts außen), Photos: Sächsische Staatsoper / Semperoper Dresden, © Daniel Koch
Zunächst hatten alle Beteiligten am Haus noch gehofft, die Spielzeit nach einer Unterbrechung fortführen zu können – ein Wunsch, von dem man sich schnell verabschieden mußte. Doch eine Ruhepause war die Schließung nicht, wie Intendant Peter Theiler und der Technische Direktor Jan Seeger am Wochenende im Rahmen zweier Liederabende erzählten. Die einen entwickelten künstlerische Projekte weiter, die anderen bereiteten sie technisch vor. Dazu gehört die Ausleuchtung der fertiggestellten Produktionen ebenso wie die Lebensadern des Hauses – es zu schließen und alle Systeme herunterfahren wäre der Substanz abträglich.
Die Substanz auf der Bühne wird von den Stimmen der Sänger bestimmt. Und die brauchen Training, auch hier also keine »Pause«. Das wird im Sommer übrigens so bleiben. Derzeit ist die Bühne im Umbau, der gesamte Bühnenboden wird erneuert. Am Sonnabend und Sonntag trafen sich daher Solisten des Ensembles zu zwei Liederabenden mit ihren Korrepetitoren vor dem Schmuckvorhang.
Auf »Leidenschaft« folgte einen Abend später »Lieblingsstücke«, die keine Spur weniger leidenschaftlich waren. Sie zeigten und erinnerten, was die Staatsoper alles zu bieten hat, wie groß die Spannweite allein schon ist, selbst wenn man »nur« Arien und Duette herausgreift, also ohne Chorszenen oder Ballett. Manche und mancher konnte sich – nicht nur bei den »Lieblingsstücken« – auf einen Ausflug zu Rollen begeben, die er in einer Produktion noch nicht gesungen hat.
Die »Leidenschaften« reichten dabei weit über Liebe und Haß hinaus – es gibt mehr als nur schwarz und weiß oder Yin und Yang. Katerina von Bennigsen ließ Lindas anfangs noch gehauchte Liebe zu Carlo (»Ah! tardai troppo« aus Donizettis »Linda di Chamounix«) mit glitzerndem Sopran und funkelnden Koloraturen wachsen, mit Aaron Pegram, der mit fabelhafter Diktion bestach, traf sie sich später noch bei Franz Lehárs »Sieh dort den kleinen Pavillon« (aus »Die lustige Witwe«) sowie mit Michal Doron im Duett »A boy like that« aus Leonard Bernsteins »West Side Story«. Große Bandbreite, wie gesagt.
So ungewohnt es ist, die Sänger ohne Kostüm und mit sparsamer Aktion zu erleben, so schön war es doch, ihre Stimmen wiederzuhören. Manchmal genügte der Szenenausschnitt, die Zuhörer zu entführen, zu verführen, zu begeistern. Wie KS Ute Selbig, die als Donna Elvira (»Mi tradi quell’alma ingrata«) mit »Don Giovanni« einen Repertoireklassiker auf die Bühne brachte – nicht nur hier galt wohl, daß »Leidenschaft« und »Lieblingsstücke« nahe beieinanderliegen.
Die Rolle des Mathias aus Wilhelm Kienzls »Der Evangelimann« lebte Jürgen Müller leidenschaftlich aus, der den Text (ohne Chor) flammend vortrug – die dramatische Deklamation barg auch in der ausgelösten Form eine enorme Fallhöhe. Für seinen Charaktermonolog »Ella giammai m’a m ò« als Philipp, den er vor wenigen Tagen in der szenischen Kurzfassung des »Don Carlo« bereits singen durfte, erntete Tilmann Rönnebeck verdienten Jubel vom Publikum. Als Basilio (Rossini / »Il barbiere di Siviglia«) brachte er es – ganz augenzwinkernder Schelm – zum Lachen.
Am Sonntag erklangen dann »Lieblingsstücke« und öffneten die Form hin zum Lied. Markus Marquardt bot nicht nur die »Registerarie« aus »Don Giovanni« dar (mit der er vor zwanzig Jahren am Haus debütierte), sondern begeisterte mit Carl Loewes Ballade »Archibald Douglas«. Hier noch von »Fallhöhe« zu sprechen, untertriebe die Sprengkraft, die Marquardt entwickelte. Diese Loewe-Ballade ist einfach das größte, sagt der Baß-Bariton hernach im Gespräch. Daß das Lied für viele Opernsänger ein Ausgleich, eine Herzensangelegenheit und eine Leidenschaft ist, bewies das junge Ensemblemitglied Alexandros Stavrakakis, der mit zwei höchst unterschiedlichen Opus Peter Tschaikowskys (»Eine Träne erinnert« und »Aus dem Jenseits«) selten zu hörende Werke mitbrachte und mit seiner emotional differenziert ausgeloteten Interpretation nachdrücklich unterstrich, weshalb er im vergangenen Jahr Preisträger des Internationalen P. I. Tschaikowsky Wettbewerbes (Moskau und St. Petersburg) wurde. Als Mönch in »Don Carlo« durfte Alexandros Stavrakakis kürzlich schon eine Kostprobe geben, manche Neuproduktion mit ihm ist aber noch in der Warteschleife. Freuen dürfen wir uns auf ihn hoffentlich in Claudio Monteverdis »L’Orfeo« an der Seite von Rolando Villazón (März 2021) sowie in Repertoire- und »Essenz«-Vorstellungen zuvor.
Gleiches gilt für Joseph Dennis. Der amerikanische Tenor kann heldenhaft und gefühlvoll auftreten, mit baritonal gefärbtem Timbre angenehm klingen, forciert dabei mühelos – wie es sich für einen Helden gehört. Das Glück ist den Helden trotzdem nicht garantiert, auch wenn Richard Tauber (»Du bist die Welt für mich«) dies noch vermuten ließ – Cavaradossi (»E lucevan le stelle« aus Puccinis »Tosca«) ist ein anderes Schicksal beschieden, wie wir wissen. Roxana Incontrera entwickelte als Frau Fluth (Otto Nicolai »Die lustigen Weiber von Windsor«) eine Dramatik, die weit über das Komische hinausging und der Leidenschaft und Farbe einer Senta nahekam.
»Lieblingsstücke« hieß auch Lieblingssänger, und so waren manche wohl extra für KS Christa Mayer gekommen – als Dalila (»Mon cœur s’ouvre à ta voix«) war sie bisher noch nicht zu erleben, die »musikgewordene Verführung« (Moderatorin Juliane Schunke) gönnte sie sich und ihren Fans nun in der Semperoper, bevor sie mit Elena Gorshunova als Niklause und Giulietta (Offenbach / »Les Contes d’Hoffmann«) das Publikum verzauberte. Daß dies so schwebend gelang, ließ die fehlenden Kostüme, Masken und Bühneneinrichtung vergessen! Und es erinnert an die wichtigen Begleiter, in diesem Fall Sebastian Ludwig. Denn die Repetitoren und Assistenten (weiterhin Hans Sotin, Alexander Bülow und Clemens Posselt) ersetzten ganze Orchester, mußten färben, charakterisieren, Sänger »tragen« und gaben so Einblick in jene Arbeit, die sie täglich in den Probenräumen der Semperoper leisten. Auch sie freuten sich über die Wiedereröffnung, wie Hans Sotin, der sich – am Flügel sitzend auf den folgenden Sänger wartend – spontan ans Publikum wandte: »Schön, daß sie alle da sind!« Später spendierte er noch eine in den letzten Wochen entstandene Komposition »Laue Luft«, die zwischen Improvisation und Impressionismus die Flüchtigkeit des Klangs aufgriff.
Die Abende befriedigten nicht nur die Wiedersehensfreude, sie dürften auch die Neugierde angefacht haben, das zu erleben, was ab September geboten werden wird. Peter Theiler warb für das »Essenz«-Programm und versprach, was möglich ist zu ermöglichen. Sänger vom Ensemble, Gäste und die Staatskapelle versprächen schließlich Leidenschaft und Exzellenz.
6. Juli 2020, Wolfram Quellmalz
Ab September bieten die Sächsische Staatsoper und die Sächsische Staatskapelle Dresden Repertoirevorstellungen und Konzerte in angepaßten Formaten (u. a. Maximallänge 90 Minuten). In die aufgeschobene Neuproduktion von »Madame Butterfly« dürfen wir dann in konzertanten Höhepunkten hineinhören.
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