Christian Thielemann und die Sächsische Staatskapelle zelebrieren dritten Beethoven-Abend
Mit der Aufführung der sechsten und siebenten Sinfonie setzt Christian Thielemann seinen Beethoven-Zyklus derzeit fort. »Ein episches Maiengrün und entfesselte Energien« hat er das Programm in seinem gerade erschienenen Buch »Meine Reise zu Beethoven« übertitelt, und sagt es damit so treffend, wie sich aus dieser Sicht ein Interpretationsansatz ableiten läßt (bzw. zwei). Mit dem Titanen Beethoven muß man umsichtig umgehen, darf weder zu viel Geschrei in den Triumph legen noch zu viel Kuhglockengeläut ins pastorale. Nach dem Gewitter (sechste Sinfonie) dürfe man »nicht zu viel hineingeheimnissen«, verrät Thielemann unter anderem.
Und so gerät Beethoven unter seinen Händen nicht in Gefahr, zu bildhaft zu erscheinen, trotz Ankunft auf dem Lande, Bach, Gewitter und Getier. Auf den Wohlklang und »Schokoladensound« allein kommt es dem Dirigenten nicht an – er verfügt darüber, setzt ihn ein, lockt ihn hervor, formt ihn – immerzu neu. Die Ankunft auf dem Lande ist weniger Naturschilderung denn ein Akt der Befreiung, des Aufatmens – der Blick weitet sich. Gerade in der Gestaltung von Tempo und Dynamik zeigte sich der Chefdirigent der Sächsischen Staatskapelle am Sonntagmorgen wieder als Meister, ließ das Allegro ma non troppo wachsen, formte das Crescendo sauber aus, über dem Flöte (Sabine Kittel) und Oboe (Céline Moinet) schwebten, ohne daß es dazu Kraft bedurft hätte. Später wurde der Klang von Hörnern vergoldet, doch selbst im Tutti mit allen Beteiligten erhielt Thielemann eine prächtige und pointierte Leichtigkeit, die jedes malerische Idyll angestaubt erscheinen ließ.
Den zweiten Satz nahm er gelassen, über die gesamte Länge schien er ein wenig getragen, doch fokussierte Thielemann sein Orchester mit einer winzigen Fermate, ohne einen Moment des Stillstands zu provozieren. Köstlich klangen Oboe, Flöte, Klarinette und Fagott im Quartett über den Streichern! Geschlossen, schlüssig dann die Sätze drei bis fünf, die weite Wege (oder viele Bilder) umfaßten, vom Zusammensein der Landleute über ein Gewitter in ein Sonnenstrahlentremolo voll froher, dankbarer Gefühle mündeten.
Auch die siebente Sinfonie bot die Kapelle nicht eindimensional »positiv«, sondern als variantenreiche, feurige und mitreißende Idee. Geradezu kavalleristisch (im positiven Sinn) war das Beginnen der schnelleren Sätze, der zweite hob leicht und recht an – ein Allegretto ist eben kein Adagio, zeigte Thielemann, und nahm von hier Anlauf, die Variationen reich zu gestalten. In nuancierten Stufungen ging er herab, verhielt einmal in fast tragischem Gestus – solch umstürzende Momente wie jene Zeit der Entstehung der Sinfonie wollen durchdacht, bedacht sein. Was die Variationen bereicherte war, daß sie nicht von den Kontrasten allein lebten. Die Staatskapelle folgte nicht nur Stufen, sondern jeder Verästelung bis ins feinste, das Presto unterstrich den positiven Charakter mit fröhlicher Hand vor dem triumphalen Finale. Und die Tempi? Gerade daraus, sich nicht allein auf deren Anpassung, auf Beschleunigung und Verlangsamung zu verlassen und ein schnell = laut oder langsam = leise zu vermeiden, folgten substantiell gestalterische Momente. Thielemanns Beethoven läßt sich nicht mit einer Charakterisierung allein festlegen, er ist authentisch, echt, lebensnah.
18. Oktober 2020, Wolfram Quellmalz