Rückkehr der erfolgreichen Tochter

Hochschulsinfonieorchester mit Schostakowitsch und Beethoven

Wenn Oksana Lyniv vor dem Hochschulsinfonieorchester steht, wirkt sie immer noch ein wenig wie die Absolventin, die sie vor einigen Jahren gewesen ist. Freilich ist seither viel geschehen: als Assistentin von Kirill Petrenko in München machte sie Furore, wurde Chefin an der Oper in Graz, an die Staatsoper München kehrt sie regelmäßig zurück, wie für eine Neuproduktion von »Herzog Blaubarts Burg« in diesem Jahr – nur einige ihrer Wegmarken.

Am vergangenen Freitag war sie im Rahmen der Fachkonferenz ZUKUNFT(S)Orchester in Dresden zu Gast und übernahm wieder einmal das Dirigat des HSSO. »Ganz wie in alten Zeiten« war dies natürlich nicht. Einerseits hat sich Lyniv weiterentwickelt, dazugelernt, andererseits ist momentan kaum etwas »wie in alten Zeiten«, erst recht nicht die Orchesteraufstellung.

In Schostakowitschs Konzert für Klavier, Trompete und Streicher standen die letzteren, jeder mit eigenem Pult, weit verteilt auf der Bühne. Jakob Wagler (Trompete), ehemaliger Wagner-Stipendiat (NMB berichteten) nahm links vor der Solistin am Klavier (Mai Kobayashi) Platz, anders also als es die Philharmonie, bei der Wagler derzeit Substitut ist, beim gleichen Stück vor einer Woche tat, als sie den Trompeter hinter dem Piano plazierte. Die Gewichtung der beiden Parts gelang aber auch so. Jakob Wagler folgte nicht nur präzise den Einsätzen, er verfügt über einen wandelbaren Klang, kann in Schostakowitschs Werk Passagen bildgewaltiger Filmmusik ebenso »bedienen« wie weiche Konturen nachzeichnen. Den etwas größeren Anteil (oft wird das Opus 35 schlicht als 1. Klavierkonzert bezeichnet) hatte dennoch Mai Kobayashi, die ihre Soli mit Brillanz gestaltete, Schostakowitsch zu dessen Studienvätern Bach und Schumann wandeln ließ, aber auch einen pianistischen Sturm à la Rachmaninow entfachte.

Oksana Lyniv sorgte nicht nur für ein abgestimmtes und organisches Zusammenspiel der Stimmen, sie schärfte Kontraste und betonte Figuren, etwa wenn die Violinen zu Beginn mit Leichtigkeit, aber hervorgehobener Schärfe den Solisten antworteten. Ins Moderato band sie eine Nocturne-Passage mit Trompete ein.

Für Beethovens fünfte Sinfonie wurde das Orchester noch um die Bläser erweitert, die aber – bis auf die Posaunen hinter den Streichern – oben auf dem Chorrang saßen. Das Problem für die Dirigentin war wohl weniger, den Überblick, sondern in diesem weiten Rund einen direkten Blickkontakt zu (be)halten, was aber gelang. Trotzdem hört sich ein derart weitgefächertes Orchester nicht so geschlossen an, wie man es gewohnt ist. Gerade die Bläser (vor allem die Hörner, deren Schall zunächst von der Saalwand reflektiert wird) trafen zu Beginn nicht immer exakt mit den Streichern zusammen.

Oksana Lyniv folgt bei Beethoven einer romantischen Tradition, hier also zeichnete sie weichere Konturen, nahm Bögen elegant, mit forcierten Tempi und knappen Anläufen fokussierte sie aber und sorgte mit variabler Dynamik für Spannung. Im zweiten Satz, der nun wunderbar geschlossen klang, arbeitete sie pastorale Motive heraus, welche in den Blechbläsern ein wenig (aber wirkungsvoll) nachschimmerten. Überhaupt konnte man sich an der Übersichtlichkeit oder Überhörbarkeit freuen, zum Beispiel, wie Beethoven das Fagott immer wieder einsetzte, einmal melodisch betont, dann als kantablen Baß.

Derart durchdacht geriet das Finale furios, aber nicht gehetzt, sondern mit Flöten (nun auch Piccolo) wahrlich erfrischend.

24. Oktober 2020, Wolfram Quellmalz

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