Singakademie Dresden in der Kreuzvesper
Der Jubilar Ludwig van Beethoven steht in diesem Jahr bei nahezu allen Ensembles im Fokus. Ob Orchester oder Kammerformation – überall bietet sein reiches Œuvre eine große Auswahl. Mit Ausnahme der Chöre: Originalwerke Beethovens gibt es zwar, doch ist ihre Zahl deutlich kleiner als in anderen Gattungen. Ekkehard Klemm und der Kammerchor der Singakademie Dresden haben ihn dennoch zentral in ihrem Vesperprogramm am Sonnabend bedacht und Originalwerke um zeitgenössische Bearbeitungen seiner und unserer Zeit ergänzt.
Zu Beginn stellten sie ihm jedoch drei Motteten eines Meisters zwischen Barock und Klassik gegenüber: Johann Heinrich Rolle. Sie sorgten mit Texten aus den Psalmen 51, 73 und 33 und ihrem optimistischen Grundton für ein positives Schlaglicht, der Wechsel von raumfüllendem Chorklang und im Solistenquartett (Anne Stadler / Sopran, Jonathan Mayenschein / Alt, Jonas Finger / Tenor und Philipp Schreyer / Baß) gesungenen Zeilen hob Bitte oder Hoffnung hervor.
Trost, Unsicherheit in Krisenzeiten, aber auch gerade dann Zuversicht, waren zentrale Themen der Vesper in Worten und Musik. Marianne von Einsiedel begleitete an der großen Jehmlich-Orgel und spielte unter anderem eine Bearbeitung von »Allein Gott in der Höh‘ sei Ehr‘« Johann Sebastian Bachs (BWV 622 aus den Leipziger Chorälen).
Mit vier Bearbeitungen, zwei davon aus der Beethovenzeit, zwei aus unseren Tagen von Anja Merusch, ging der Chor Beethovens Musik nach, dessen Themen teilweise aus ganz anderen Werken (wie Klavier- oder Violinsonaten) entlehnt war. Das himmelwärtige Fliehen in der »Hymne an die Nacht« (Bearbeitung: Ignaz Heym) unterstrich die Singakademie mit einem Ton, der im Vibrato bereichert ausklang, während »Gottes Macht und Verehrung« (Beethoven / Merusch) den Sinn von »Gott ist mein Lied!« in der Melodie und einer volkstümlichen Schlichtheit aufnahm. Berührend erklang der »Tränentrost«. Daß zugrundeliegende Adagio hatte Georg Nägli in seiner Bearbeitung im Charakter nicht zusätzlich überhöht, um Betonungen zu schaffen, sondern mit den Worten angemessen verbunden.
Daß das »Opferlied« (Beethoven / Merusch) mit »Hoffnung macht die Herzen weit, wenn sanft die Winde wehen« für ein Frühlingsbeginnen im Herbst sorgen will, griff Kreuzkirchenpfarrer Holger Milkau in seinen eigenen Worten auf – nicht nur tagesaktuell stimmig, sondern auch passend zum rein musikalischen Programm. So wie wir überlieferte Musik immer wieder neu hören, stehen uns auch die Erfahrungen vergangener (überstandener) Krisen zur Verfügung.
Ungewöhnliches erklang zum Abschluß, denn Felix Mendelssohns »Mitten wir im Leben sind« ist für eine Motette überraschend aufwühlend, greift im Wechsel der Chorstimmen auch dramaturgisch weiter, als man es von der sonst oft schlichteren und (im Hinblick auf die Gemeindepraxis) pragmatischeren Gattung gewohnt ist. Mit dem auf den Altarraum (Männerstimmen) und auf den vorderen Seitenemporen (Frauenstimmen) aufgeteilten Chor trug Ekkehard Klemm dem Werk nicht nur Rechnung, die Singakademie konnte sich auch akustisch entfalten, so daß sich jeder Besucher »getroffen« fühlte.
25. Oktober 2020, Wolfram Quellmalz
Nächsten Sonnabend: Kreuzvesper zum Reformationstag, mit Heidi Maria Taubert (Sopran), Elisabeth Holmer (Alt), Sebastian Reim (Tenor), Clemens Heidrich (Baß), Dresdner Kapellsolisten, Holger Gehring (Orgel und Leitung), Werke von Franz Liszt, Johann Sebastian Bach und Johann Gottlieb Naumann