Rudolf Buchbinder beim Sonderkonzert der Sächsischen Staatskapelle
Während seiner Residenz hatte Rudolf Buchbinder vom Flügel aus Konzerte mit der Sächsischen Staatskapelle Dresden geleitet und dabei alle fünf Klavierkonzerte Ludwig van Beethovens aufgeführt, knapp zwei Jahre später kam er für jenes in G-Dur (Nr. 4) noch einmal zurück – unter ganz anderen Umständen. Das galt auch musikalisch, denn die Leitung hatte diesmal der Chefdirigent selbst übernommen, zudem fand das Konzert im Kulturpalast Dresden statt.
Für den Auftaktglanz sorgten sagenhafte 23 Blechbläser der Kapelle, die vom Chorrang unter der Orgel zwei Werke Richard Strauss‘ zum besten gaben, einmal jedoch kein »Dresdner Werk«, sondern die Fanfare für Blechbläser und Pauken zur Eröffnung der Musikwoche der Stadt Wien (1924) sowie die »Wiener Philharmoniker Fanfare«. Ursprünglich hatte letztere auf dem Programm gestanden, nun aber eröffnen die zwei Prachtstücke alle beiden Sonderkonzerte der Staatskapelle im Dresdner Kulturpalast. Sie zeigten die Blechbläser des Orchesters von ihrer glänzendsten Seite. Während die Fanfaren durch die Instrumentengruppen wanderten, ließ sich trefflich beobachten, hören, wahrnehmen, wie unterschiedlich sie alle klingen, wie sie sich voneinander absetzen und doch einen homogenen Klang formen – Trompeten schärfen Konturen, Hörner runden das Gesamtbild harmonisch ab, Posaunen verstärken die Strahlkraft, Tuben sorgen für das Fundament und stützen das Gerüst …Die Pauken mischten sich höchst tonal in den bläsersinfonischen Chor ein – mit der Kapelle und Strauss lassen sich neue Hörerfahrungen erleben.
Christian Thielemann leitete von seinem Pult aus mit Sorgfalt – er weiß, daß diese Bläser noch den leisen Schimmer wunderbar harmonisch und akzentuiert formen können. Akzente, Konturen, zählen auch bei Beethoven. Sein viertes Klavierkonzert lebt vom Gegenüber des Solisten und des Orchesters. Gerade dieses Miteinander der Gegensätze ließ das Konzert mit Spannung wachsen. Die Aufbruchstimmung des ersten Satzes wich schnell dem spannungsgeladenen Kontrast von Solist und Tutti, silbrig perlten manche Höhen darüber, die Rudolf Buchbinder wie Wasserspritzer aufschäumen ließ, bevor der Strudel beide wieder vereinte. Im Andante con moto stehen sich Klavier und Orchester beinahe wie Widersacher gegenüber – die Reibung war einzigartig, Rudolf Buchbinder vermochte den Flügel in Gediegenheit sprechen zu lassen, bis sich schließlich im Erlösungspunkt die Wogen glätteten, das Orchester »besänftigt« und der Solist »befreit« zeigen durften. Daß das Solocello (Konzertmeister Norbert Anger) zweimal voll Freude singen darf, schien geradezu folgerichtig.
Mit Arnold Schönbergs Tondichtung »Verklärte Nacht« schloß Christian Thielemann an die »Gurre-Lieder« vom Jahresbeginn an, zeigte die Nähe der frühen Komposition zu Richard Strauss, aber auch, wie reif dieses Werk bereits geriet. Die komplexen Verwebungen waren mehr als ein Kontrapunkt zum Beginn der Blechbläser, vielmehr dichtete und malte Thielemann mit Strauss‘ Palette – so fein, daß man die Stimmen des Paares aus Richard Dehmels Gedicht zu hören können meinte. Hier nun waren es weniger die Konturen, die interessierten, vielmehr rückten die durch die Tondichtung evozierten Gefühle und Stimmungen in den Vordergrund: Klage, Melancholie, Bedauern, Erlösung, bis hin zu fast bildhaftem Mondlicht. Wie schon kürzlich in Beethovens sechster Sinfonie jedoch wahrte das Orchester die Balance, vermied eine zu tonmalerische, wenig dimensionale Sprache.
28. Oktober 2020, Wolfram Quellmalz
Auf dem Programm des nächsten Sonderkonzertes stehen (neben Strauss) Ludwig van Beethovens Violinkonzert sowie Robert Schumanns Ouvertüre, Scherzo und Finale E-Dur Opus 52, Solist ist Nikolaj Szeps-Znaider (Violine), 3. November 2020, 20:00 Uhr, Kulturpalast Dresden