Phantasie und Consort

KITGUT QUARTET BELEUCHTET ANFÄNGE DES STREICHQUARTETTS

Dem Ursprung des Streichquartetts haben sich schon manche Aufnahmen angenähert. Natürlich findet man es bei Joseph Haydn, aber man kann ebenso schauen, wo dessen Ursprung lag. Das Casal Quartett fand so zum Beispiel zu Franz Xaver Richter, doch muß der End- bzw. Anfangspunkt damit noch nicht erreicht sein. Armandine Beyer (Gli Incogniti) hat mit Freunden nach dem Anfang des Streichquartetts gesucht und wurde im 17. Jahrhundert in England fündig – schon die Consorts waren durch eine ausgewogene, gleichmäßige Stimmverteilung gekennzeichnet. Insofern lassen sie sich wie andere, freie Stücke auch, auf ein klassisches Quartett mit zwei Violinen, Viola und Violoncello übertragen.

Was gefangennimmt, ist die tiefharmonische Gesanglichkeit, der fast polyphone Chorklang – man denkt an ein größeres Ensemble, nicht an ein Streichquartett! Darüber hinaus beherrschen Beyer, Naaman Sluchin (Violine), Josèphe Cottet (Viola) und Frédéric Baldassare (Violoncello) ihre alten Instrumente so phantastisch, daß sie sie wie Gamben klingen lassen können, ihnen aber auch der (im Vergleich) moderne Quartettklang keine Mühe bereitet, der für die Werke der Wiener Klassik typisch ist. Joseph Haydns Quartett Opus 71 Nr. 2 steht in der Mitte der Aufnahme Pate – oder als Referenz? – und sorgt für einen Ruhepunkt. Im Grunde ist Haydn, der noch im hohen Alter nach London reiste, dort große Erfolge hatte und Schüler fand, ja eigentlich ein musikalischer Enkel Henry Purcells und Matthew Lockes, deren Werke die übrigen Titel der CD ausmachen.

Das Kitgut Quartet gibt dem D-Dur-Stück eine wienerische Wärme und Freude mit, behält aber eine gambenhafte gläserne Fragilität bei, was dem Klang eine noch berührendere Dimension verleiht.

Doch natürlich sind es vor allem die Fantasien, Curtain Tune on a ground oder für ein Consort geschriebenen Suiten von Henry Purcell und Matthew Locke, die den Hörer mit einer unheimlichen Sogkraft zu entführen scheinen, an einen fernen Ort in eine vergangene Zeit, dabei aber selbst auf der Aufnahme eine vibrierende einnehmende Lebendigkeit entwickeln.

Auch sind die Stimmungen der Instrumente und die Stimmen so verschieden, daß man nicht den Eindruck einer unveränderlich feststehenden Formation bekommt, vielmehr eines in Stimmlage und Anzahl variierenden Ensembles.

Armandine Beyer ist es gelungen, die belebende Frische, die auch ihre Aufnahmen mit Gli Incogniti kennzeichnet, auf das Kitgut Quartet zu übertragen. Man darf also gespannt sein, ob es eine nächste CD geben wird.

Kitgut Quartet»Tis too late to be wise«, Werke von Henry Purcell, Matthew Locke und Josph Haydn, Harmonia Mundi

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