ARD-Musikpreisträger Friedrich Thiele legt erste Aufnahme vor
Preise hat der Dresdner Cellist Friedrich Thiele schon viele gewonnen, den wohl wichtigsten beim ARD-Musikwettbewerb 2019. Genaugenommen waren es dort gleich drei: ein zweiter Preis (gesamt), der Publikumspreis sowie jener für die beste Interpretation des Auftragswerkes. Seitdem hat seine internationale Karriere noch einmal an Fahrt gewonnen.
Friedrich Thiele ist als Solist und Kammermusikpartner, mit Jugend- und Sinfonieorchestern zu erleben, auch die Radioprogramme sind auf ihn aufmerksam geworden. Daß sich der Cellist nicht allein auf Soloauftritte konzentriert, beweist neben seiner Vielseitigkeit und Versiertheit ein vertieftes Verständnis – Musik ist ein komplexes Gebilde, das mehr enthält als Melodie und Rhythmus. Da will einer offenbar höher hinaus, und: er kann. Nachdem er kurze Zeit nach dem Wettbewerbserfolg im Dezember 2019 in der Cellogruppe der Sächsischen Staatskapelle mitspielen durfte (Beethoven-Sinfoniekonzert / Thielemann), nahm er zum Gründungstagskonzert des Orchesters (Kulturpalast / Chung) im vergangenen September bereits als Gast das Konzertmeisterpult der Cellisten ein – gibt es einen größeren Vertrauensbeweis?
Nun hat Friedrich Thiele die nächste Stufe erklommen und in Zusammenarbeit mit dem Deutschen Musikrat und Deutschlandfunk Kultur bei Genuin seine erste CD vorgelegt. Musikalische Partnerin an seiner Seite ist Naoko Sonoda von der UdK Berlin, eine erfahrene Begleiterin und Korrepetitorin. Beider Programm reicht von der Romantik bis in die zeitgenössische klassische Musik des zwanzigsten Jahrhunderts und ist äußerst reizvoll komponiert. So beginnt Thiele mit der zweiten Cellosonate von Johannes Brahms – die »Standortbestimmung« gleich zu Beginn scheut er also nicht. Sie fällt überzeugend aus, vor allem, weil Thiele und Sonoda sich so leidenschaftlich »hineinwerfen«. Emphatisch singt das Cello vom ersten Ton an, jubelt, das Klavier folgt nicht nur, es läßt Brahms‘ fröhlichen Übermut sprudeln und schäumen, aber nicht überschäumen. Auf Jugendlichkeit als ausgestelltes Merkmal verzichten beide Musiker also – Temperament ja, aber nicht im Übermaß. Und so gelingen ihnen auf kurzem Wege nicht nur Stimmungs- und Tempowechsel, auch Stufung und Phrasierung passen, die Gesangslinie reißt nicht ab. Damit wird nicht nur das Helle hervorgehoben, die leisen Töne erreichen ebenso den Hörer – nicht nur im Ohr, sondern tief drinnen. Der Komponist hat für alle vier Sätze ein Allegro vorgeschrieben, freilich fallen sie ganz unterschiedlich aus. Dem zweiten (affettuoso) erhalten Thiele und Sonoda einen zarten Andante-Charakter, der nie zu süß gerät. Gleiches gilt für den Mittelteil des dritten Satzes. So kann Brahms schließlich leicht, behend abschließen.
Im Wettbewerb hatte sich Friedrich Thiele unter anderem mit zeitgenössischer Musik hervorgetan. Auf der CD nähert er sich dieser mit drei Werken des zwanzigsten Jahrhunderts. Henri Dutilleux‘ Trois strophes sur le nom de Paul Sacher für Violoncello solo von 1976 sind von klaren Strukturen gekennzeichnet. Friedrich Thiele legt tonale Zusammenhänge offen, gestaltet einen räumlichen, zupackenden Klang, der berücksichtigt, daß schon ein einzelner Ton geformt, Musik sein kann. Das Andante sostenuto gewinnt so eine ungeheuere Tiefe.
Mit Dmitri Schostakowitschs Sonate Opus 40 folgt ein weiterer Standard der Celloliteratur, nun wieder mit Klavierbegleitung. Das Werk zeigt Zerrissenheit, Brüche, birgt aber – wie Brahms – Leidenschaftlichkeit und greift auf Elemente der Romantik zurück. Mit ihrer ausgewogenen Gestaltung gelingt es den beiden Interpreten, das Energiestück bis an die Berstgrenze zu treiben, aber nicht darüber hinaus.
Auf Schostakowitschs frohgemuten Schluß folgt mit Henryk Wieniawskis Scherzo tarantelle (eigentlich für Violine) ein aberwitzig furioses Zugabestück. Friedrich Thiele belebt die Transkription, die ihre Leichtfüßigkeit auch in der tieferen Cellolage behält.
Fazit: Hier stellt sich ein ambitionierter Künstler vor, dem es nicht darum geht, sein Können vorzuführen, sondern die Welt der Musik zu erobern. Auf die nächsten Schritte darf man gespannt sein!
Januar 2021, Wolfram Quellmalz

Friedrich Thiele (Violoncello) Naoko Sonoda (Klavier) »Con moto«, Werke von Johannes Brahms, Henry Dutilleux, Dmitri Schostakowitsch und Henryk Wieniawski, erschienen bei Genuin