Vesper zum 50. Todestag
Der Name Rudolf Mauersberger ist heute nicht nur untrennbar mit dem Dresdner Kreuzchor verbunden, den er im vergangenen Jahrhundert durch schwierige Zeiten, aber auch auf international beachtete Höhepunkte geführt hat, sein Andenken wird nach wie vor lebendig erhalten. Sei es in Anekdoten der damaligen Jahrgänge des Chores, sei es durch die jährlich aufgeführte Trauermotette »Wie liegt die Stadt so wüst« und andere Werke aus seiner Feder, sei es in von ihm begründeten Klangidealen und Aufführungstraditionen.
In der Loschwitzer Kirche fand am Montag, dem 22. Februar und 50. Todestag Rudolf Mauersbergers, eine Gedenkvesper statt. Leider ohne Publikum, doch immerhin hat sie den Vorteil, daß das via Stream übertragene Video der Vesper weiterhin auf YouTube aufgerufen werden kann. Die Produktion muß unter den aktuellen Bedingungen aufwendig gewesen sein, schließlich konnte und sollte gerade auf wichtige Vokalwerke nicht verzichtet werden. Dem entstandenen Zusammenschnitt war dies dennoch nur am Rande anzumerken – nicht nur die Kirche stand am Montag nicht mehr im Schnee wie noch vor wenigen Tagen, das durch die Fenster eindringende Tageslicht wechselte in den Beiträgen mit Abend- oder Nachtdunkel ab.
Doch all dies war nebensächlich, denn es galt, binnen einer guten und gehaltvollen Stunde das Spektrum eines Œuvres bzw. einen wirkkräftigen Ausschnitt kennenzulernen.
Gekannt hatte Rudolf Mauersberger das Loschwitzer Kirchlein zwar nicht, wie Pfarrer Markus Deckert in seiner Begrüßung festhielt, denn das Gotteshaus war zu Mauersbergers Lebzeiten eine Ruine und wurde erst nach der politischen Wende wieder aufgebaut. Durchaus bekannt gewesen sein dürfte ihm allerdings der Nosseni-Altar, der ursprünglich in der Sophienkirche stand.
Die meisten Werke des tiefgläubigen Rudolf Mauersberger haben einen sakralen Bezug. Wiederum ein Großteil davon ist Vokalmusik. Doch auch anderes entstand im langen Leben des schaffensreichen Kreuzkantors. Mit einem Präludium für Orgel (RMWV 447) hatte Kantor Tobias Braun den Abend eröffnet, später fügte das Trio Branny (Susanne Branny / Violine, Tom Höhnerbach / Violoncello, Nikolaus Branny / Klavier) das Adagio marciale aus Mauersbergers Klaviertrio c-Moll (RMWV 448) hinzu, ein verblüffend tiefsinniges, dunkles und gedankenschweres Werk! Nicht weniger eindrücklich war zuvor bereits ein Satz aus dem Streichquartett fis-Moll (RMWV 449) gewesen. Mit dem Eden Quartett Dresden (Annette Thiem und Mechthild von Ryssel / Violinen, Cornelia Schumann / Viola und Andreas Priebst / Violoncello) klang das Scherzo erfrischend wie ein plötzlicher, leichter Frühlingsregen.
Lohnend war jedoch nicht nur die Musik – nicht weniger Grund zum Nachsehen und -hören liefert die ausführliche Laudatio von Prof. Dr. Michael von Brück, der als Kruzianer unter Rudolf Mauersberger gewirkt hatte: Ihm gelang es, das Denkmal Mauersberger nicht vom Sockel zu stoßen, den Menschen aber auch nicht zu glorifizieren. Das Spektrum seiner Facetten, seiner Charaktereigenschaften, die Wahrnehmung seiner Person durch die Kreuzchorknaben streut ungeheuer weit, reicht vom Lob des Komponisten Hans Werner Henzes und dem Bild des unbeugsamen, sich für seinen Chor einsetzenden Streiters bis zum durch ihn begründeten Beginn der Heinrich-Schütz-Pflege in Dresden, enthält aber ebenso Ambivalenzen: Kompromissen mit der NS-Partei stand die unermüdliche und unbeirrbare Aufführung der Werke jüdischer Komponisten gegenüber, in seinem Umgang mit den Knaben war der Kreuzkantor »streng, klangeffizient, oft ungerecht, grotesk despotisch […] ein Jahrhundertcharakter« (Michael von Brück). Mauersbergers rabiate Unbeugsamkeit konnte zusetzen, der bitterer Druck der Leistungskultur war für manche zu viel – in seiner Würdigung sparte Michael von Brück solche Aspekte nicht aus, verbarg nicht, was man nicht erst heute kritisch oder tadelnswert finden könnte. Mit unermüdlicher und disziplinierter Arbeit hatte Rudolf Mauersberger allerdings ein Lebenswerk geschaffen, zu dem unter anderem gehörte, daß er den Kreuzchor mit »unerschütterlichem Gottvertrauen und einer doch tief erschütterten Seele aus den Trümmern von 1945 wieder zum Leben erweckte und der erste Kreuzkantor wurde, der den Chor wirklich zu Weltruhm führte«.
Gerade in seinen Vokalwerken ist Mauersberger bis heute erstaunlich, klangvoll, aussagekräftig, vielschichtig, manchmal geradezu umwerfend! Ein Dankpsalm als froher Liedpsalm (RMWV 34) zeugte ebenso davon wie das ungemein poesievolle (und so auch komponierte und vorgetragene) »Unruh der Zeit« (RMWV 210). Noch eindrücklicher geriet »Der alte Dresdner Totentanz« (RMWV 4.5) mit Bariton-Solo (Cornelius Uhle), Chor (AuditivVokal) und Klavier (Nikolais Branny). Die gesangliche Darbietung ließ außer jenem Wunsch, direkt dabeizusein, keinen weiteren offen. Dem Chor bzw. den Solisten (Anne Stadler und Katharina Salden / Sopran, Marie Bieber und Nanora Büttiker / Alt, Jonas Finger und Alexander Bischoff / Tenor, Philipp Schreyer und Cornelius Uhle / Baß) sowie ihrem Initiator und Leiter Olaf Katzer wurde dafür schon während der Aufführung im Chat reichlich Lob gespendet – vollkommen zurecht!!!
Eine reiche Stunde Musik und Andacht – hier muß das Konzept von Pfarrer i. R. Gerhardt Uhle ausdrücklich gelobt werden, denn trotz der Wechsel von Werken, Gattungen, Szenen (Außenlicht) und den nur in Einzelsätzen vorgestellten Instrumentalwerken entstand hier kein musikalisches Potpourri, sondern eine ansprechende Erinnerung und Würdigung in einer fast geschlossenen Form – das Nacherleben sei sehr empfohlen!
23. Februar 2021, Wolfram Quellmalz
Zum Programmheft und zum Video gelangen Sie über die Seite des AuditivVokal:
Empfohlen sei auch der Blog der Sächsischen Landesbibliothek – Staats- und Universitätsbibliothek Dresden mit dem Titel »Nicht zum Komponisten berufen? Zum 50. Todestag von Kreuzkantor Rudolf Mauersberger« mit vielen ergänzende Informationen: