Uraufführung online

Musikalischer Online Salon mit neuem Stück

Ursprünglich war das nicht beabsichtigt gewesen – die Uraufführung von »A synder’d vastness« (deutsch: »Eine ausgebrannte Leere«, 2020 / 21 entstanden) von Ian Wilson sollte eigentlich am 17. März in einem Konzert stattfinden. Nachdem dieses aber abgesagt werden mußte, bekam die Aufführung des Stückes im Rahmen der Musikalischen Online Salons von Matthias Lorenz am Dienstag dort einen höheren Status. (Die »echte« Uraufführung soll übrigens nachgeholt werden.)

Klar haben online-Konzerte Nachteile – gut, wenn man sich ihrer bewußt ist. Denn so kann man sie umgehen oder andere Eigenschaften des Formats nutzen. Manchmal wird der Unterschied von Konzert und Virtualität selbst zum Thema, so wie gestern – gleich mehrfach.

Gleich zu beginn wechselte Matthias Lorenz (oben links) den Cellobogen gegen einen Holzstock aus. Es folgen weitere, aus verschiedenen Hölzern, mit Schnitten präpariert und sogar ein Kugelstock für besondere Klangeffekte. Bild: NMB

Zu Beginn spielt Matthias Lorenz jeweils einen Ausschnitt aus dem Stück des Abends und eröffnet damit den Salon fürs Gespräch. »A synder’d vastness« ist kein reines Solostück – neben der Stimme des Violoncellos gibt es eine elektronische Tonspur. Und die war – Fallstrick Technik – zunächst nicht zu hören, was ganz unbeabsichtigt das Cello zunächst doch solo vor Ohren führte. Matthias Lorenz hatte eine Sequenz aus der Mitte des Stückes ausgewählt, die mit kurz angerissenen bzw. -geschlagenen Saiten sich aus einem geräuschhaften Ton ins fast Stimmliche steigerte (zwischen Schrei und Bellen). Das Problem war jedoch schnell behoben, der Salon mit einem Ausschnitt der korrekten Fassung eröffnet.

Zu acht diskutierten Matthias Lorenz und seine Teilnehmer diesmal (auf englisch). Vor allem Komponistinnen und Komponisten, aus Irland, Frankreich, Serbien, der Schweiz und aus Deutschland. Damit ergaben sich schnell nicht nur fachliche, sondern Kollegengespräche. Grainne Mulvey und Ian Wilson waren gleich mehrfach im Dialog. Doch es ging nicht nur um Musiktheorie, auch um Aufführungspraxis und die Wirkung von Stücken bzw. die Bedeutung der Aufführung, die zum Beispiel der in Paris lebende Dirigent Bruno Ferrandis hinterfragte.

Dabei gewann der Aspekt des Visuellen zunehmend an Bedeutung und damit die Frage, wie wichtig das Bild ist, das wir bei einem Konzert vor Augen haben. Handelt es sich um ein Video oder eine gestreamte Veranstaltung, erfolgt hier natürlich durch Kamerawechsel oder -fahrten ein zusätzlicher Eingriff in die Aufführung, den die Teilnehmer durchaus unterschiedlich wahrnahmen und einschätzten.

Visuell war auch die »Leitlinie«, der Matthias Lorenz folgte, um beim Spielen mit dem Tonband synchron zu bleiben. Anders als schon in einem seiner Konzerte im Dresdner geh8, als ihm das Zeitmaß akustisch (»click track«) ins Ohr gespielt wurde, hat Ian Wilson es für »A synder’d vastness« in die Noten geschrieben (ähnlich Taktstrichen). Damit erlaubt er eine gewisse Flexibilität oder Spontanität und räumt dem Interpreten einen Entscheidungsspielraum ein.

Sein Stück befaßt sich mit der Zeit und dem Universum. Der Komponist hat darin »die letzte Melodie des Universums« eingefangen. Die Tonspur enthält Klänge, die mit Begriffen wie Zeit, Distance oder Universum korrespondieren. Ein Turmuhrwerk, fließendes Wasser, reibende Steine, Vogelgesang … Das klingt sowohl sphärisch und suggeriert ein Gefühl von Weite, spiegelt aber ein Maß bzw. die Zeit und die Veränderlichkeit wider.

Wilson, der sich für Wissenschaften interessiert, für Physik und Astrophysik, hat sich dem Thema bzw. dem Auftrag von Matthias Lorenz jedoch frei genähert und seine Phantasie von Erfahrungen mit Science-fiction-Stoffen, mit schwarzen Löchern etwa, anregen lassen. Die direkte Kopplung der Geräusche oder Töne von »Band« und Cello waren ihm wichtig. So gibt es oft ähnliche oder verwandte Klänge auf beiden Spuren.

Die nächste Gelegenheit, »A synder’d vastness« im Konzert zu erleben und die Balance zwischen Tonspur und Solist wahrzunehmen, wird voraussichtlich am 10. Oktober dieses Jahres in der Hofstelle Flammer (Tolstefanz / Küsten) bestehen.

Nach der Uraufführung: Auch im virtuellen Konzert gibt es Applaus, Bild: NMB

24. März 2021, Wolfram Quellmalz

Der nächste MOS ist für den 20. April geplant (Vorschauvideo: 13. April). Weitere Termine und Programminhalte sowie die Videos zu den bisherigen vier Salons finden Sie unter: http://www.matlorenz.de/

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