Dresdner Musikfestspiele legen mit »eigenem« Tripelkonzert nach
Was man an Musikfesten schätzt, ist durchaus, daß sie in kurzer Zeit viele besondere Gäste anziehen. Natürlich ist es toll, wenn vier Wochen lang die besten Sänger, Musiker und Orchester der Welt die großen, kleinen, ehrwürdigen und experimentellen Musiktempel Dresdens beleben. Doch richtig toll werden Musikfeste erst dann, wenn sie neben der Dichte noch einen Schwerpunkt bieten und sich eine Festspielatmosphäre entwickelt. Übergeordnete Themen können dies schaffen oder Residenzkünstler. Oder Auftragswerke. Wenn ein solches Werk einer künstlerischen Freundschaft, der Vielseitigkeit eines Intendanten und Solisten und einem Jubeljahr, wie es dies nur selten gibt, entspringt, kann man wohl etwas Besonderes erwarten. Doch dann kam C., die Musikfestspiele 2020 fielen aus wie fast das gesamte Beethovenjahr, die Uraufführung von William Blanks »Alisma« wurde abgesagt. Mit einem Jahr Verspätung konnte das Auftragswerk der Dresdner Musikfestspiele nun nachgeholt werden – am Donnerstag lief es im Stream und kann über die Festspielseite weiterhin angesehen und angehört werden.
Das Philharmonische Staatsorchester Hamburg und sein Dirigent Kent Nagano waren allerdings nicht wie das Festspielorchester in den Tagen zuvor in den Kulturpalast gekommen, sondern hatten sich Anfang Mai im Rahmen des Internationalen Musikfestes Hamburg mit Mira Wang (Violine), Daniel Ottensamer (Klarinette) und Jan Vogler (Violoncello) in der Elbphilharmonie getroffen. An Beethoven habe er sich orientiert, hatte der Komponist erklärt, an dessen Tripelkonzert, daran, wie sich Trio und Orchester darin gegenüberstehen. Offensichtliche Bezüge oder gar Zitate sollte man deshalb in »Alisma« aber nicht erwarten oder gar suchen, schließlich haben sich unsere Hörgewohnheiten in den über 200 Jahren seit Beethoven geändert, hatte William Blank noch angefügt.
In seiner ganzen Anlage, der Formensprache und dem Charakter ist »Alisma« weit von Beethovens Tripelkonzert entfernt, und das nicht nur, weil William Blank das Klavier durch eine Klarinette ersetzt hat. Statt dreier Sätze gibt es bei ihm einen (allerdings dreiteiligen), vor allem geht die Struktur nicht von einem Orchester mit Streichern im Kern aus. Von ihnen gibt es einige, den Klang prägen aber vor allem Bläser und Schlagwerke. Blank läßt sie selten als homogene Instrumentengruppen wirken, sondern setzt sie immer neu zusammen, sorgt für Hintergrundklang- und Raumklangeffekte. »Rhapsodisch« findet es Jan Vogler, obwohl dafür ein wenig die »erzählerische Linie« fehlt. Vielmehr sind es Stimmungen, die der Komponist schafft, umstrukturiert, beinahe greifbar »walkt« – so läßt sich durchaus eine Textur der Musik erfassen. Das Trio spielt – wie bei Beethoven – vor allem mit Bezug aufeinander, aber immer wieder gibt es direkte Verbindungen mit dem Orchester oder anderen Solisten, die mit Oboe oder Posaune ein Echo setzen. Im ganzen mäandert das Werk, als daß es rhapsodiert. Lange Zeit scheint »Alisma« vielfältig wandelbar, aber unentschieden, bevor es am Ende plötzlich mit einem Zäsurschnitt aufwartet und den Zuhörer am Schluß mit einem Stimmungswechsel überrascht, der entspannend wirkt, aber auch Spannung schafft, die vorher nicht spürbar war – könnte da nicht noch mehr kommen?
Mit der dritten Sinfonie von Johannes Brahms und einem in jeder Position geänderten Philharmonische Staatsorchester grüßte Hamburg schließlich noch einmal Dresden. Kammermusikalisch schlank schien der zweite Satz, begann fast wie ein Obenquintett, während das Poco allegretto nun sanft und süffig vom großen Sinfoniker kündete. Charmant, majestätisch, beinahe titanisch klang dieser Brahms – festspielreif.
28. Mai 2021, Wolfram Quellmalz
Die Konzerte des Auftaktes der Dresdner Musikfestspiele und der Streamingwoche finden Sie hier: http://www.musikfestspiele.com/de/programm-tickets/streaming-woche/