Dresdner Philharmonie lenkt Kulturpalast in eine »erdnahe Umlaufbahn« zurück
Lange ist es her, daß sich (nicht nur) die Dresdner Philharmonie von ihrer Bühne verabschiedet hat – am Sonntag kehrte sie endlich zurück und öffnete den Konzertsaal des Kulturpalastes wieder für Besucher. Zwar nur in Kammerformation, aber mit einem exquisiten Programm und einem Format, das in jeder Hinsicht vollwertig war.
Beinahe zwei Stunden Musik (ohne Pause) konnten die Besucher erleben, »Musik für Saiteninstrumente« lautete der Titel nach dem letzten der vier aufgeführten Werke. Allesamt waren ungewöhnlich, außergewöhnlich. Und doch kann man glücklicherweise sagen, daß weder Komponisten noch Werke vergessen sind, schließlich finden sich die Namen immer wieder in den Konzertprogrammen, gerade bei der Philharmonie.
Erich Wolfgang Korngolds Klaviertrio D-Dur ist nicht nur dann bemerkenswert, wenn man es als das Werk eines Zwölfjährigen betrachtet – auch den Vergleich mit Gattungsbeiträgen der gleichen Entstehungszeit, etwa von Maurice Ravel oder Anton Arenski, muß es nicht scheuen. Korngolds Opus 1 birgt den Wiener Charme oder den Melos des Rosenkavaliers, wird aber vor allem von einem Aufbruch in die Moderne getrieben, dabei lassen sich sogar impressionistische Aufhellungen finden. Erstaunlich ist, daß der Einfallsreichtum des Komponisten hier weder zu einem Baukastenprinzip, noch zu einem Überreichtum geführt hat, sondern schon einen frühen Könner zeigt. Dalia Richter (Violine), Hans-Ludwig Raatz (Violoncello) und Rieko Yoshizumi (Klavier) brachten das Werk – scheinbar ungetrübt von langen Pausen und Probenunterbrechungen – atemvoll zur Aufführung, verloren sich in perlenden Melodieschnüren, fanden darin aber auch fast szenisch dramatische Belebung – eine höchst willkommene Wiederentdeckung des Komponisten, den man keinesfalls auf Filmmusik oder »Die tote Stadt« reduzieren darf!
Ebensowenig darf man den Kontrabaß auf ein Baßinstrument reduzieren. Komponisten oder Spieler (darunter Virtuosen!) wie Giovanni Bottesini oder Gioacchino Rossini zumindest taten dies nicht. Rossini, mit vielen eng befreundet, schrieb ein Duetto für Violoncello und Kontrabaß im Auftrag für den Londoner Bankier David Salomons, der es – auch Hobbycellist – mit dem Italiener Domenico Dragonetti, genannt »il Drago« (der Drache), spielen wollte. Rossini ließ sich das Stück wohl gut bezahlen, führte den Amateur jedoch nicht vor, sondern schuf ein Werk, dessen Helligkeit und Beweglichkeit angesichts der vermeintlich tiefen Instrumente überrascht. Insofern brachten Hans-Ludwig Raatz und Răzvan Popescu (Kontrabaß) kein Kuriosum zur Aufführung, sondern ein klangvolles Stück Musikgeschichte mit einigen Mozart-Anklängen.
Noch raffinierter hatte es Krzysztof Penderecki getan, als er ein Duo concertante für Violine und Kontrabaß geschrieben hatte. Es verlangt gar eine andere Besaitung des letzteren, denn Răzvan Popescu hatte hier deutlich solistische bzw. gleichberechtigte Aufgaben. Er konnte – wie Dalia Richter – die virtuose Seite seines Instruments hervorzeigen, denn Pendereckis Duo gelangt bis in die Regionen einer Caprice.
Dergleichen erfrischt wandten sich die Musiker am Ende des Abends Rudi Stephan zu, einem der vielversprechendsten deutschen Komponistentalente. Der frühe Tod (Stephan fiel im ersten Weltkrieg) mit nur 28 Jahren verhinderte, daß sich die Erwartungen erfüllen konnten. Dabei hatte Stephan mehr als nur Talent bewiesen und sich in seiner Musik für Saiteninstrumente – ähnlich Béla Bartók – im Titel zwar von tradierten Gattungsformen abgewandt, doch diente dies wohl einem befreiten Aufbruch, nicht einem Abwenden von der Tradition. Mit nun sieben Musikern (zu den vorgenannten Thomas Otto / Violine, Matan Gilitchensky / Viola sowie Nora Koch / Harfe) gab es eine Aufführung, die kein Septett war, sondern Elemente einer Sonate mit denen eine Kammerorchesters ineinanderfließen ließ. Jetzt fanden die an sich doch wenigen Philharmoniker zu einem erstaunlich sinfonischen Ton! Mitunter schien der Weg vom Solo zum Gesamtklang weit, doch vollführten die Musiker ihn geschmeidig, mit Kontrasten, aber ohne Brüche.
31. Mai 2021, Wolfram Quellmalz
Das nächste Konzert der Dresdner Philharmonie steht am 12. Juni auf dem Programm. Mit Louis Langrée (Leitung) und Renaud Capuçon (Violine) spielen sie Robert Schumanns Violinkonzert und Johannes Brahms‘ vierte Sinfonie. Weitere Informationen unter: http://www.dresdnerphilharmonie.de/konzerte/schumann-und-brahms/1159