Schumann – Brahms – Gänsehaut!

Dresdner Philharmonie spielt nach über acht Monaten wieder in großer Orchesterformation

Wie sollte man solche Hinweise und Aussagen vermeiden? Nach über acht Monaten durfte das Orchester am Sonnabend endlich wieder in großer Formation vor Publikum im Dresdner Kulturpalast auf die Bühne, freute sich Intendantin Frauke Roth vorab, für den Gastdirigenten Louis Langrée war es gar der erste solche Auftritt seit 460 (!) Tagen!

Langsam können die Zuschauer zumindest ein wenig dichter sitzen, das Programm indes bleibt (noch) gekürzt und pausenlos – immerhin zwei große sinfonische Werke gab es. Ja, sinfonisch, durchaus, auch Robert Schumanns Violinkonzert d-Moll. Mit Renaud Capuçon war gleich noch ein französischer Musiker zu Gast. Er gab dem romantisch-sinfonischen Werk mit seinem ständigen Wechsel von romantischem Fluß und strukturellem Rhythmus, beständigem Schweben zwischen schwärmerischem Gestus und gepulstem Getriebensein eine Form – Schumanns Konzert schien zu flackern, zu flammen, zu lodern. Im Auf und Ab des dynamischen Aufwerfens und Besinnens hielt der sichtlich bewegte und aufgedrehte Renaud Capuçon die Fassung, die Stimmung – einen vibrierend lebendigen Schumann mit Mut zum Risiko statt vorsichtigen Herantastens.

Mit einem Mal kehrte Ruhe ein, eine Ruhe, die Schumann kurz mit »langsam« (zweiter Satz) überschrieben hatte, die aber beseligend, zu Herzen gehend gelang. Die Cellogruppe antwortete dem Solisten, der sogleich wieder die Führung übernahm, kurz mit dem Thema. Capuçon drehte das emotionale Barometer auf »heiter« – nicht nur musikalisch ging es mit der Stimmung bergauf.

So blieb es im letzten Satz, der die Ambivalenz erhielt. Der Solist ließ nicht die romantisch verklärte Lerche singen, sondern spürte dem Impuls, dem Puls Schumanns nach – aufgekratzt, gelöst. Und er konnte – sowenig wie das Publikum – nicht loslassen. Mit Fritz Kreislers »Melodie« (nach Glucks »Orphée«) gab er etwas zu – endlich wieder ist auch das möglich.

Was dann folgte, war – hoffentlich – ein Anfang. Wer uns vor wenigen Tagen noch gefragt hätte, was uns am meisten fehlt, dem wäre eine Antwort gegeben worden: Bruckner, Wagner, Brahms (oder ähnlich). Zu fern schienen ein »Tristan« oder eine so monumentale Sinfonie wie Bruckners achte oder Brahms‘ erste. Nun endlich geht auch das wieder los. Die Dresdner Philharmonie und Louis Langrée erzielten sozusagen den Anschlußtreffer mit Brahms‘ vier. Langrée, das hatte sich schon bei Schumann gezeigt, kann Farben, das Innere einer Stimmung ebenso nach außen kehren und zum Leuchten bringen wie er eine Struktur feingliedrig belebt.

Mit Johannes Brahms Sinfonie e-Moll Opus 98 entfachte er einen heiteren, aber mächtigen Strom. Wie herrlich, einmal wieder eine ganze Blechbläsergruppe so funkeln zu hören, zu beobachten, wie sich allein vier Hornstimmen durchflechten, wie ihnen Brahms spezifische Aufgaben gibt oder sie zum Chor zusammenwachsen läßt – der Beginn des Andante moderato wäre ohne sie undenkbar! Den Nachhall gestalteten die Holzbläser im Pizzicato der Streicher um so gediegener. Nicht Melancholie lag in diesem langsamen Satz, sondern Brahms‘ unverkennbar genußvolles, kraftvolles Schreiten. Louis Langrée balancierte Detail und Maß umsichtig aus – das Allegro giocoso war wie das folgende Poco meno presto frei von massiger Wucht, blieb federnd – so erstürmt man Berge! Doch dem Gipfel des dritten Satzes folgte noch ein Finale – ja: groß, prächtiger, Brahms! Es vollzog sich majestätisch, vom noblen ersten Horn (Michael Schneider), das die ganze Blechbläsergruppe nach sich zog, zum bedachtsamen Dialog von Violoncelli und Fagotten übergehend – und nun ging es zum richtigen Gipfel. Dafür gab es stehenden Applaus und viele glückliche »Bravi«.

13. Juni 2021, Wolfram Quellmalz

Schon in einer Woche legt die Dresdner Philharmonie nach: mit Juanjo Mena (Dirigent) und Javier Perianes (Klavier) gibt es dann Edvard Griegs Klavierkonzert und Juan Crisóstomo de Arriagas Sinfonie in D. Weitere Informationen unter: http://www.dresdnerphilharmonie.de

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