Silbermann klingt wieder

Dresdner Orgelzyklus nun auch wieder in der Hofkirche

Über ein Jahr war die Hofkirche (Kathedrale) wegen Sanierungsarbeiten für öffentliche Veranstaltungen geschlossen. Nur Gottesdienste und Andachten fanden in dieser Zeit statt, beispielsweise in den Seitenschiffen, doch die Silbermannorgel war über Monate eingekleidet, um sie während der Bauarbeiten vor Verschmutzung zu schützen, und verstummt. Ende Februar wurden die Arbeiten abgeschlossen, am Mittwoch kehrte die Hofkirche wieder in die Konzertreihe des Orgelzyklus‘ zurück.

Da die Stelle des Domorganisten momentan vakant ist, begrüßte Thomas Lennartz, der das Amt früher innehatte (heute Professor für Orgelimprovisation und Liturgisches Orgelspiel in Leipzig) die Besucher zu diesem besonderen Anlaß. Sein Gast, Jörg Abbing (Saarbrücken), hatte für den Abend ein Programm ausgewählt, das einerseits »silbermanngerechte Musik« enthielt, also Werke aus der Zeit der Orgel, die 1755 geweiht worden war, andererseits scheute der Organist nicht davor zurück, ein Stück Olivier Messiaens zu spielen.

Die Tonart e-Moll wird, anders als zum Beispiel das »eindeutige« B-Dur (groß, gewaltig, glücklich), mit unterschiedlichen Eigenschaften assoziiert, etwa Tiefsinnigkeit, Traurigkeit, aber auch eine immer mit »etwas« apostrophierte Lebhaftigkeit. In Johann Sebastian Bachs Präludium und Fuge e-Moll (BWV 548) herrscht eine solche angemessene Lebhaftigkeit vor. Das Werk machte sogleich deutlich, daß eine Orgel nie allein eine Orgel ist – entscheidend bleibt der Raum, für den sie gebaut wurde, der Klang, wie er sich ausbreitet, die Stimmung, die entsteht, besteht, erlischt.

Noch deutlicher wurde dies in Olivier Messiaens Offandre au Saint Sacrement (Opfergabe an das Allerheiligste Sakrament), das mit stehenden Tönen und Schwebungen vielerlei Stimmungen erzeugte, derweil in den Oberstimmen Gesang lag. Man mochte sich fragen, welche Farbe der Synästhetiker Messiaen damit verbunden haben mag, den Gesang fand der begeisterte Ornithologe ganz sicher nicht nur in der menschlichen Stimme, sondern bei den Vögeln, wie manche Verzierung und Triller bewiesen, besonders in der Schlußgirlande.

Wer bisher noch nicht überrascht gewesen sein mag, der war es ganz sicher bei Louis-Nicolas Clérambaults Suite de deuxième ton. Johann Sebastian Bach hat die Werke seines Zeitgenossen gekannt, wie Jörg Abbing weiß. Im Grand Pleine Jeu (sinngemäß »großes, volles Spiel«) begann die Suite, was Eleganz jedoch nicht ausschloß. In Fugen, Duos und Trios stellte Jörg Abbing melancholische oder feurige Sätze vor – sie blieben elegant, wobei das Werk mit Farben und Ornamentik ebenso begeisterte wie in den Stimmen, die nicht allein im Satz Dialogue einem Gesangsduett glichen.

Jörg Abbing setzt sich nicht nur im Spiel mit den Werken auseinander, er hat zahlreiche wissenschaftliche Schriften veröffentlicht oder war an ihnen beteiligt. Und doch (oder deshalb?) improvisierte er auch über »Geh aus mein Herz und suche Freud«, über ein Kyrie und schließlich Adoro te devote. Das Thema zu raten war gar nicht einfach, denn – selbst bei Paul Gerhard – gingen die Improvisationen frei mit dem musikalischen Material um, hatten also nicht das Ziel, Text oder Anlaß in der Stimmung des Liedes zu entsprechen.

22. Juli 2021, Wolfram Quellmalz

Das nächste Konzert im Rahmen des Dresdner Orgelzyklus findet am kommenden Mittwoch (28. Juli, 20:00 Uhr, Willibald Guggenmos, St. Gallen, » Blitz und Donner – Glockenläuten und Engelsmusik«) in der Kreuzkirche statt. http://www.kreuzkirche-dresden.de/veranstaltungen/veranstaltung/dresdner-orgelzyklus-internationale-dresdner-orgelwochen-11.html

Schreiben Sie einen Kommentar

Trage deine Daten unten ein oder klicke ein Icon um dich einzuloggen:

WordPress.com-Logo

Du kommentierst mit deinem WordPress.com-Konto. Abmelden /  Wechseln )

Facebook-Foto

Du kommentierst mit deinem Facebook-Konto. Abmelden /  Wechseln )

Verbinde mit %s