Für Sonnenuntergänge sind noch Tage frei
Moritzburg Festival eröffnet
Nach den positiven Erfahrungen von 2020 plant das Moritzburg Festival auch diesmal nahezu alle Konzerte auf der Schloßterrasse. Vor einem Jahr hatte es nur wenige Wetterkapriolen gegeben, und wenn, wie am verregneten Eröffnungsabend, hatten sich der Veranstalter, der Regenponchos verteilte, und das Publikum, das ausharrte, als standhaft erwiesen. In diesem Jahr gibt es jedoch eine Schlechwetteroption: gegebenenfalls werden die Konzerte kurzfristig in die Evangelische Kirche Moritzburg verlegt. Am Sonnabend mußte diese Option bereits genutzt werden, denn die Güsse von oben waren doch zu arg – auf die stimmungsvollen Sonnenuntergänge auf der Nordterrasse müssen wir also zunächst noch warten. Für das Pilgern zum alternativen Ort ist der Konzertbeginn übrigens grundsätzlich um eine viertel Stunde verschoben.
Jan Vogler, der Künstlerische Leiter, und Spaniens Botschafter in Deutschland, Ricardo Martinez, der Schirmherr des Festivals, konnten nach dem Umzug aber schließlich die Saison 2021 eröffnen – die Moritzburger Kirche ist schließlich auch ein traditioneller Festspielort.
Und eines wurde bald klar: mögen Änderungen hier und da gewollt oder erzwungen sein, in der Qualität gibt das Kammermusikfest nicht nach, Überraschungen inklusive. Zum Auftakt des Jahrganges 2021 gab es sogleich eine mit Richard Strauss‘ Streichsextett aus der Oper »Capriccio« – während die Semperoper den Leckerbissen bisher nur via streaming zeigte, beschworen Nathan Meltzer und Seiji Okamoto (Violinen), Karolina Errera und Ulrich Eichenauer (Violen) sowie Jan Vogler und Margarethe Vogler (Violoncelli) den wundersamen, sanglichen Zauber der Oper – Strauss‘ Musik schien in den kräftigen Farben des Spätsommers aufzublühen.
Zu solch schwelgerischen Weiten stand Alfred Schnittkes Klavierquintett in krassem Gegensatz. Melancholisch und zurückgezogen scheint es eher teilweise abzugleiten, wird aber immer wieder von Lichtreflexen durchsetzt. Dabei lebte das Werk vor allem von den Kontrasten zwischen Klavier (Sergio Tiempo) und Streichern (Mira Wang und Nathan Meltzer / Violine, Karolina Errera, Jan Vogler) und den feinen Verästelungen zwischen ihnen. Begann Sergio Tiempo zunächst präludierend, fanden sich in den die Tonräume durchschreitenden Stimmen bald Erwiderungen oder Persiflierungen – ein Stück für den Kopf, das große Ausgewogenheit bewies, als sich die erste Violine plötzlich aus dem Verbund herauslöste oder die Musik am Schluß in der Unhörbarkeit versank.
Der Moritzburger Geist war also bereits erweckt, als Seiji Okamoto, Mira Wang, Ulrich Eichenauer, Jan Vogler und Janne Saksala (Kontrabaß) ihn mit Antonín Dvořáks Streichquintett Nr. 2 in G-Dur bekräftigten. Saksala, eines der langjährigen Festivalmitglieder, kam heuer mit gebändigtem Pferdeschwanz statt wilder Mähne, sein Spiel ist von solchen Äußerlichkeiten jedoch unbeeindruckt rhythmisch und melodiös. Mit seinem Baß ist das Quintett nahe an einer Tanzkapelle – Dvořáks Opus 77 lebte von rhythmischen Betonungen! In den ersten beiden Sätzen gerieten sie, mitreißend zwar, noch ein wenig wuchtig, doch im Poco andante waren Sinnlichkeit und Leidenschaft ausgewogen, es atmete den feinen Geist, wie man ihn in Franz Schuberts langsamen Sätzen finden kann.
Ihm, Schubert, wird in den kommenden zwei Wochen ein Schwerpunkt gehören, nicht zuletzt mit der Pianistin und Sopranistin Chelsea Guo. Ab dem 14. August können die Konzerte, beginnend mit dem Eröffnungsabend, auf Dreamstage noch einmal erlebt werden.
8. August 2021, Wolfram Quellmalz