Im Sturm zum Gipfel

Moritzburg Festival krönt Konzert mit Schubert – trotz »meteorologischer Anfechtung«

Das Festivalgefühl in Moritzburg ist längst wieder da, trotz aller Änderungen, Improvisationen und Ersatzspielorte. Die Nordterrasse des Schlosses wird erneut durch eine überdachte Bühne wirkungsvoll in Szene gesetzt – wie im vergangenen Jahr ist der im Hauptberuf als Hardrocker tätige Tom Fecher für den technisch hervorragenden Ton zuständig, dafür, daß nur soviel verstärkt wird, wie unbedingt nötig ist. Der originale Klang bleibt unangetastet, die Lautsprecher nimmt man kaum wahr. Vor allem: der Ton scheint immer vom jeweiligen Instrument zu kommen und nicht aus der Richtung der Verstärkeranlage.

AUFTAKT MIT PROKOFJEW

Damit bleibt ein wesentliches Konzertelement erhalten: zu beobachten, nachzuvollziehen, wie sich ein Thema entwickelt, wie es weitergegeben, gespiegelt, variiert wird. Sergej Prokofjew hat in seiner Ouverture sur des Thèmes Juif (Ouvertüre über hebräische Themen) Opus 34 ein Sextett aus Streichquartett, Klarinette und Klavier vereint, dessen Stimmen sich tief verzahnen – es gibt weniger solistische Auftritte, als daß sich ein wandelbares Ensemble präsentiert, an diesem Abend mit Pablo Barragán (Klarinette) und Wu Qian (Klavier) sowie dem Quartett Mira Wang und Kevin Zhu (Violinen), Karolina Errera (Viola) und Bruno Philippe (Violoncello) besetzt. Wu Qian verwob die Klavierstimme dicht mit den Streichern, bereitete einen fast impressionistischen Hintergrund, Pablo Barragáns Klarinette nahm den melodischen Faden mit weicher Tonfärbung auf – ein guter Ton hat eben viele Gründe!

DEBUSSYS SALON

Auf die folkloristisch-dynamischen Rhythmen Prokofjews folgte Claude Debussys Klaviertrio G-Dur (Wu Qian und Bruno Philippe sowie Nathan Meltzer / Violine). Das leichte, bekömmliche Stück schien letztlich im Kontrast zu den es rahmenden Werken ein wenig untergewichtig. Hübsch und unterhaltend, aber ohne großartige Kontraste – die Ursache für den Eindruck liegt allerdings im Werk und nicht der lupenreinen Darbietung. Die Schwalben mochten die zarte Melodie offenbar, während die Krähen noch das Sextett zuvor bekrächzt hatten.

DER GIPFEL: FRANZ SCHUBERTS STREICHQUINTETT

Wie hätte Debussy da auch bestehen können, wenn ihm ein solches Gipfelwerk, Franz Schuberts Streichquintett C-Dur (D 956), folgt? Schon der Besuch der öffentlichen Probe am Tag zuvor hatte angesichts des bereits erreichten Ausdrucks verblüfft. Dabei war es nach Jan Vogler erst das zweite Mal, daß er mit Kevin Zhu und Seiji Okamoto (Violinen), Ulrich Eichenauer (Viola) und Bruno Philippe (Violoncello) an dem Stück gearbeitet habe. Viel wichtiger als exakte Tonhöhen und Metren, als die genaue Übereinstimmung ist der interpretatorische Ansatz – ohne Ausdruck hätte ein Werk keinen künstlerischen Impuls. Genau das ist der Grund, wenn uns vollkommen fehlerfreie Interpretationen mitunter langweilen. Der Impuls war zur Probe bereits enorm, wie der älteste Stammgast sicher bestätigen würde. Die nach wie vor rüstige Dame zählt mittlerweile 102 Jahre und kommt seit vielen Jahren zum Moritzburg Festival!

Fehler waren an diesem Abend ebensowenig »ein Thema« wie interpretatorische Mängel. Der gute Ton um so mehr, denn in einer derart vorbereiteten Akustik konnten sich Schuberts leise anhebende Klänge wunderbar entfalten. Jedes Detail war da zu hören, von Ulrich Eichenauer getupfter Viola bis zur singenden »Violoncellogruppe« im ersten Satz. Der Begriff ist gar nicht unberechtigt, so großartig stimmten Bruno Philippe und Jan Vogler in Harmonik und Homogenität überein. Zwar ist Schuberts Quintett eines der Intimsten, doch wohnt ihm ein großer, weiter Geist inne. Nicht rein zufällig war das Adagio Vorlage für eine Verfilmung von Jane Austens »Stolz und Vorurteil«. Filmkomponist Carl Davis kreierte dafür eine Streichergruppe à la Schubert und fügte dem noch eine Oberstimme des wohl romantischsten Instruments überhaupt hinzu: des Horns. (Wer für den Herbst einen Filmabend einplanen möchte: gemeint ist hier die BBC-Verfilmung von 1995.)

Für die Konzertbesucher genügten die auf der Schloßterrasse angebotenen Bilder der Fassade und vor allem der Musiker. Immer wieder kreuzten sich ihre Stimmen oder wurden Solopartner, wie Violine 1 (Kevin Zhu) und Violoncello 2 (Jan Vogler) im zweiten Satz. Dabei blieben alle fünf dicht beieinander – ein Solo ohne Bezug hätte auch keine Bedeutung.

Im Scherzo woben Seiji Okamoto und Ulrich Eichenauer einen großartigen klanglichen Hintergrund, der nicht nur über Farbe, sondern auch Textur verfügte. Daß das wirbelnde Allegretto dennoch in Gefahr geriet, lag einzig am Wetter, denn plötzlich erhoben sich Böen und brachten Regenwolken an den bisher ungetrübten Himmel. Der Wind war so heftig, daß die Spieler sogar unter ihrem Dach abbrechen mußten – vorläufig zumindest. Denn die meisten Besucher, die aufgesprungen waren und stehend applaudiert hatten, blieben noch. So schnell wie der Regen kam, war er wieder vorbei. Die fehlenden Takte gab das Quartett schließlich noch zu.

11. August 2021, Wolfram Quellmalz

Nach dem Portraitkonzert und Konzert heute steht am Donnerstag die zweite Öffentliche Probe auf dem Programm. Weitere Informationen unter: http://www.moritzburgfestival.de

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