Silbermann-Tage haben begonnen
Wir wüßten recht genau, meinte der Freiberger Domorganist Albrecht Koch zu Beginn des Konzertes in Reinhardtsgrimma gestern, worüber wir klagen können. Ihm liege es aber mehr am Herzen, mit der Musik Anlaß zu Zuversicht und Dankbarkeit zu geben.
Beides, Zuversicht und Dankbarkeit, setzt eine Aufgeschlossenheit voraus, sich anderen, anderem zuzuwenden. Zum Konzert in der kleinen Dorfkirche waren das neunköpfige Ensemble CONTINUUM (Leitung und Kontinuoorgel: Elina Albach), Philipp Lamprecht (Glocken / Schlagwerke) sowie Juan de la Rubia an der Silbermannorgel eingeladen. Sie bewiesen nicht nur Zugewandtheit, sondern auch eine Experimentierlust, mit der sie Musik des 17. Jahrhunderts und von heute spiegelten und dabei von der gewohnten Interpretation und Instrumentation, abwichen.
Gleich zum Entrée gab es Salvatore Sciarrinos »Appendice alla perfezione« (Nachtrag / Anhang zur Perfektion) zu erleben. Was nachzutragen ist, führte Philipp Lamprecht auf vierzehn Glocken aus. Bei zunächst gleichbleibender Tonhöhe löst das Stück zuerst den gleichförmigen Rhythmus auf und schafft damit besondere Halleffekte, dann bricht es aus wie eine Improvisation und geht in einen polyphonen Klang über.
Einen der frühesten Meister der Polyphonie, vielleicht den Meister, gab es später mit Claudio Monteverdi zu erleben, dessen Magnificat à 6 voci von 1610 das Ensemble CONTINUUM in mehreren Teilen sang. Später folgten aus einer Vertonung à 7 voci aus dem gleichen Jahr weitere Teile. Marie Luise Werneburg und Viola Blache (Sopran), Bernadette Beckermann (Alt), Benedikt Kristjánsson und Richard Reusch (Tenor) sowie Matthias Winckhler und Felix Schwandtke (Baß) ließen die kleine Kirche scheinbar wachsen, so daß man sich ein wenig wie in Venedig fühlte, wo die meisten der Werke Claudio Monteverdis zu strömen begannen. Beseelt, beglückend, berührend – solcher Gesang kann in der Tat Zuversicht spenden und Dankbarkeit fühlen lassen!
Und er ist ein großer Maßstab. Für den amerikanischen Komponisten David Lang wohl zu groß – die Wahl, sein »just (after song of songs)« erwies sich im Vergleich der direkten Folge als zu simpel, zu nah an Neoklassik und Pop. Auch wenn es die drei Frauenstimmen noch so schön interpretierten, lösten die wiederkehrenden Melodie- und Textblöcke (jeder der drei Abschnitte hat mit dem immer gleichen Wort beginnende Zeilen) eher eine Monotonie als eine Vertiefung aus.
Auch in der Instrumentierung mit Schlagwerken zeigte sich Ensemble CONTINUUM wagemutig. Allerdings nicht minder vielfältig. Neben den normalen Glocken traten Klanghölzer, Trommeln, Pauken, Tamburin und Kastagnetten in Erscheinung. In der Wahl der Mittel war Philipp Lamprecht treffsicher, nur eine Bearbeitung aus der Feder Manuel Duraos von Monteverdis Mentre vaga Angioletta »flockte« ein wenig aus. Damit kam dem Konzert (die Stücke wurden ohne Applausunterbrechung vorgetragen) leider ein wenig der rote Faden bzw. die Konzentration abhanden.
Nicht immer muß zu den Silbermann-Tagen eine Silbermann-Orgel erklingen. Aber meist. Juan de la Rubia spielte an Gottfried Silbermanns (restauriertem) Opus 32 eine feingliedrige Toccata von Girolamo Frescobaldi und führte in Pablo Bruns‘ Tiento de falsas de segundo tono vor, daß das Instrument auch über nasale, rauchige Klangfarben verfügt. Nach einer kleinen Improvisation im Mittelteil des Programms schloß er es mit Georg Muffats strahlkräftiger Toccata settima ab – Freude und Zuversicht.
6. September 2021, Wolfram Quellmalz
Mehr zum Ensemble CONTINUUM finden Sie hier: http://www.continuu-m.com/
Das Eröffnungskonzert aus der Stadtkirche Frauenstein wurde im Radio (ARD-Radiofestival) sowie im Internet übertragen. Sie können es hier nachsehen:
Weitere Videobeiträge zu den Silbermann-Tagen finden Sie hier: