Marek Janowski, María Dueñas und die Dresdner Philharmonie bescheren eine Sternstunde mit Beethoven
Zahlenmystik und Kabbala finden manche bei Johann Sebastian Bach, symbolträchtige Zahlen lassen sich aber auch bei Ludwig van Beethoven ausmachen. Ob sein 14. Streichquartett nun aus vier, fünf oder sieben Sätze besteht, ist dabei eigentlich – sollte sich zeigen – nebensächlich. Sein Schicksalsmotiv schlägt auf jeden Fall mit einem vierfachen Ton an, doch konnte er es auch zu fünft, wie das Publikum am Wochenende im Kulturpalast vernehmen durfte. Weniger Schicksal, vielmehr richtungsgebende Schläge waren es, die Anfänge, Zäsuren oder Stimmungswechsel einleiteten, wie am Beginn des Violinkonzertes Opus 61, das aus fünf Paukenschlägen heraufdämmerte.
Fünf Schläge, die ein tragender Klang auszeichnete, den luzide Holzbläser aufnahmen. Was dann folgte, war schlicht magisch. Marek Janowski ordnete im terrassenförmigen Konzertsaal, der einem Weinberg nachempfunden ist, goldene Ströme – nicht Weines, sondern eines warmen Streicherklangs, der zwischen Violinen, Violen und Kontrabässen wogte, von den Celli reflektiert wurde.
Solistin war eine junge Geigerin, die schon einmal im neuen Kulturpalast gespielt hat: María Dueñas. Damals, gleich nach der Neueröffnung, entdeckte die einstige Dresdner Jungstudentin den neuen Raum gemeinsam mit Avi Avital (und kam sogleich auf den Titel des damaligen Palastheftes). Heute kann sie noch weit mehr als 2017, und der eine Teil (mindestens die Hälfte) der erlebten Magie geht klar auf ihre »Kappe« bzw. ihren Bogen. Und damit streicht sie einen betörend üppigen, sinnlichen, erregenden, grazilen, unwiderstehlichen […, Passage gekürzt, Anm. d. Red.] Klang herbei, dem man sich aber auch gar nicht entziehen kann! Aus dem Orchester kamen punktgenau die Echos, Antworten, der Widerhall oder der Gegensatz, wie das Anfangsmotiv, das in den Kontrabässen gespiegelt wurde.
María Dueñas hatte eigene Kadenzen mitgebracht, in denen sie Beethovens Ambivalenzen nachspürte. Im ersten Satz kehrte sie zu ihrem Anfangsthema zurück, ließ es im Charakter wandeln, melancholisch werden – eine nachdenkliche Melancholie, die auch die Kadenz des dritten Satzes prägte. Prägend, präsent, blieb auch María Dueñas. Im zweiten Satz ward es der Dauererregung beinahe zu viel, doch konnte sich die Geigerin zurücknehmen, ungeheuer leise werden, als der Dialog mit den Philharmonikern einmal zum Unisono-Chor wurde. Sie blieb aber spürbar treibende Kraft und zaubert immer neue Seiten hervor, konnte herb klingen und differenzieren. Süß und romantisch? Nein danke!
Marek Janowski ließ sie nicht allein gewähren, er fügte ein großes, ein ungeheuer großes Kunstwerk zusammen, fordernd und koordinierend, und auch beim Pizzicato wurde nicht gespart. Beethovens Motive erwiesen sich nicht als Kette aus Ideenperlen, vielmehr waren sie immer wieder Impulsgeber und Erreger – dieses Konzert ist ein Kosmos! Kein Wunder, daß Beethoven nur eines schrieb (es gibt schließlich nur eine Welt).
Für ihre Zugabe wählte María Dueñas Francisco Tárregas »Recuerdos de la alhambra«, ursprünglich für Gitarre geschrieben (arrangiert von Carlo Maria Barato).
Kann man nach solchen Ereignissen noch ein weiteres Werk anhören? Die Antwort könnte »nein« lauten, doch in der Pause gehen mochte auch niemand. Wie auch – der Satz »da hätten wir uns aber geärgert, wenn wir nicht dabeigewesen wären« ist bekanntlich ein Paradox (wer nicht da ist, weiß ja nicht, was er verpaßt). Beethovens Streichquartett Opus 131 in einer Fassung für Streichorchester jedenfalls fügte dem Abend weitere Farben hinzu. Zunächst jene von Gustav Mahler, der das Adagio des ersten Satzes koloriert zu haben schien.
Wieder gibt es fünf Schläge in Opus 131, sie setzen Zäsuren und geben neue Impulse, treiben an. Trotz großem Streicherapparat (und Kontrabässen, die es im Quartett nicht gibt) schien Beethoven jedoch, so energisch er sich zeigte, niemals wuchtig oder brachial. Im Gegenteil – das Allegro moderato gelang Marek Janowski luftig wie ein Menuett, dafür übertraf er in der Parforce der letzten beiden Sätze sogar noch das Finale des Violinkonzerts. Da verpaßte das Publikum des Sonnabends vor Verblüffung beinahe, zu applaudieren.
12. September 2021, Wolfram Quellmalz
Vor dem nächsten Sinfoniekonzert mit Gustav Mahlers fünfter Sinfonie am kommenden Wochenende stellt die Dresdner Philharmonie ab heute in drei Konzerten Salvatore Sciarrino in den Mittelpunkt. Weitere Informationen unter: http://www.dresdnerphilharmonie.de