Weihnachts-CD des Dresdner Kammerchores huldigt Michael Praetorius
Er war nicht nur Komponist, selbst die Bezeichnung »Hofkomponist« wird ihm nicht gerecht. Er war ein Gelehrter, Musikant, Herausgeber, Organisator und – ja – er war Komponist. Einer der einflußreichsten, bedeutendsten, und dennoch gehört er heute zu den »bekanntesten Vergessenen«. Denn sein Können, sein Agieren und seine Nachwirkung erstrecken sich auf viele Höfe, Schüler, Editionen, Fassungen. Nicht zuletzt ging vieles an Korrespondenz und Notizen verloren, und doch ist Michael Praetorius nach wie vor präsent und unverkennbar.
Hans-Christoph Rademann und der Dresdner Kammerchor nähern sich ihm in ihrer neuen Aufnahme, die beinahe ausschließlich Werke jenes Mannes enthält, dessen Geburts- und Sterbetag auf den 15. Februar fielen. Fünfzehnhunderteinundsiebzig und 1621 – wir feiern in diesem Jahr also ein doppeltes Praetorius-Jubiläum.
Nur eine Ausnahme gibt es auf der CD, nur ein Werk, das einen anderen Verfasser nennt: Melchior Vulpius, ein Zeitgenosse, der Michael Praetorius‘ wohl bekannteste Komposition in einen Kanon zu vier Stimmen gesetzt hat: »Es ist ein Ros« gibt der Aufnahme auch den Titel und berührt sogar noch etwas tiefer als Praetorius‘ Lied, das später auf der CD folgt. Mit dem himmlischen Solosopran von Isabell Schicketanz hebt es an, bevor das Werk a cappella mehrchörig zu schweben scheint.
Die Polyphonie und Mehrchörigkeit gehören zu den bestimmendsten, berührendsten Klangbeigaben dieser CD. Michael Praetorius hatte es verstanden, die italienische Kunst des Tonsatzes auf der Höhe seiner Zeit abzubilden und den Pragmatismus des Kirchenmusikers (der instrumental wie vokal mit dem »Material« arbeiten mußte, das ihm zur Verfügung stand) auf einen Höhepunkt zu führen. Damit schuf er nicht nur unnachahmliche Werke, sondern legte auch die Grundlage für deren Verbreitung – Interpretationen und Fassungen in anderen Sätzen eingeschlossen.
Faszinierend sind nach wie vor die stimmliche Kraft und der Glanz, dieses »sich in die Höhe erheben«. Man meint zuweilen, sich in einer italienischen Kirche mit großem Längs- und Querschiff zu befinden, so weit und luftig klingen die Stimmen. Dabei ist nicht die Größe oder das Volumen entscheidend (die Besetzung ist eher klein), sondern die luftige, oft fröhliche Freiheit der Entfaltung. Denn Michael Praetorius hat weniger andächtige Musik geschrieben – kein »stille Nacht«– sondern eine, die das Weihnachtsfest mit Freude feiert. Seine Faszinationskraft liegt aber auch in der Kunstfertigkeit, mit der er die Elemente verbindet, und seien es die Sprachen, wie im Magnificat super Angelus ad pastores ait, dessen Text zwischen Latein und Deutsch wechselt.
Diese Weihnachtsfreude vermittelt sich durch die Stimmen, die immer in der Ausgewogenheit bleiben. Ob in der vom Kammerchor gebotenen Polyphonie, ob im Wechsel von Chor- und Solopassagen oder in der Individualität der Solisten (zum Solistenquartett treten weitere aus dem Chor). Immer wieder gibt es Gänsehautmomente – nicht wegen plötzlicher Stimmungsumschwünge, sondern wegen einer den Hörer tief treffenden Emotionalität.
Unterstützt werden die Sänger von einem exquisiten Ensemble um Stefan Maass (Theorbe), das vorübergehend auch einmal schweigt, oft mit sanfter Begleitung umschmiegt, nicht zuletzt aber mit Zinken und Posaunen Leuchtkraft entfacht. »Es ist ein Ros« – zur Weihnachtsfreude.
Dezember 2021, Wolfram Quellmalz

Dresdner Kammerchor, Hans-Christoph Rademann (Leitung), Isabel Schicketanz (Sopran), Jonathan Mayenschein (Alt), Christopher Renz (Tenor), Martin Schicketanz (Baß), Instrumentalisten, »Es ist ein Ros«, Werke von Michael Praetorius, erschienen bei Accentus Music