Vielfach besonders

Endlich wieder eine Kreuzchorvesper!

Im nachhinein muß man von einer denkwürdigen Vesper sprechen. Die letzte Kreuzchorvesper lag schon einiges zurück, seither war viel ausgefallen, die traditionellen Aufführungen des Weihnachtsoratoriums inclusive. Auch die Programmzusammenstellung überraschte, reichte sie doch von gewohnt traditionellen Stücken überzeitgenössische Werke bis zu Auszügen aus Charles Gounods »Deuxième Messe pour les sociétés chorales«. Solche Werke ist man von Kreuzkantor Roderich Kreile nicht unbedingt gewohnt, ebenso wie die offene, zugängliche, nahbare Art, mit der er sich mitten in der Vesper kurz ans Publikum wandte. Denn der Chor, offiziell nur aus den Männerstimmen des Kreuzchores bestehend, schien erstaunlich groß. Der Grund, so Kreile, lag in einer schon vor längerer Zeit getroffenen Vereinbarung: Mittlerweile sind bereits zwei Abiturientenjahrgänge von der Pandemiezeit und ihren Einschränkungen betroffen. Zum Ausgleich für die vielen Ausfälle und Entbehrungen habe man vereinbart, die beiden Jahrgänge der Ehemaligen zur Vesper an diesem Sonnabend einzuladen, damit sie noch einmal mit dem Chor singen könnten.

Und dieser Chor klang richtig gut! Ein junger, vollwertiger Männerchor, der ohne Abstriche Eugène Thomas‘ Kyrie (Messe für vierstimmigen Männerchor) oder Thomas Tomkins‘ »O how amiable are thy dwellings« (Anthem für Männerstimmen) erschallen ließ. Die Ausgewogenheit der tiefen und hellen Stimmen, die Artikulation und Emphase waren einfach fabelhaft!

Und daß der Kreuzchor nicht nur die eigene Tradition wahrt, sondern weitergeht, Grenzen überschreitet, zeigten die Motette »Der Pharisäer und der Zöllner« von Heinrich J. Hartl wie (vielleicht noch mehr) die Auszüge aus Charles Gounod »Deuxième Messe pour les sociétés chorales«, worin im Glaubensbekenntnis des Credo die »heilige, christliche und apostolische Kirche« benannt wird – hier wirkte der Kreuzchor durchaus über die eigenen Grenzen hinaus, auch wenn es vielleicht noch nicht ad hoc »überkonfessionell« zu nennen ist.

Offenheit, Zuwendung, Nahbarkeit … Wissen oder gar Beweis allein genüge eben nicht, erinnerte Pfarrer Hilger Milkau im Wort zum Sonntag, die Empfindsamkeit sei einerseits eine Epoche, die uns aus Dichtung und Musik bekannt sei, Empfindsamkeit verbinde uns aber über Vernunft, Umsicht, Zartheit hinaus miteinander.

Zu einem Höhepunkt er Kreuzchorvesper avancierte die Uraufführung. Holger Gehring, der den Einzug mit einem Kyrie begleitet hatte und den auf der Orgelempore stehenden Kreuzchor bei Charles Gounod unterstützt hatte, spielte die erste Orgelsonate von Kruzianer Anton Matthes. In drei Sätzen (Maestoso – Fuge – Maestoso | Legato cantabile | Allegro) folgte der junge Komponist einem klassischen Format und überrascht dabei mit seiner einfallsreichen Formensprache. So hat er nicht nur mehrfach den Choral »Wir glauben Gott im höchsten Thron« eingeflochten, er ergeht sich auch in bester Manier in einer Fuge, die von der Oberstimme bis in den Baß flutet und mit dem Metrum spielt – kaum zu glauben, daß dies eine »Schülerarbeit« ist! Es wäre zu wünschen, daß sie im Repertoire des Hauses einen Platz behält.

16. Januar 2022, Wolfram Quellmalz

Kurzfristig kann der Dresdner Kreuzchor am kommenden Sonnabend einen »Teilausgleich« realisieren. Dann stehen die Kantaten I, V und VI des Weihnachtsoratoriums auf dem Programm. Beginn: 16:30 Uhr. Da es sich um eine Konzertveranstaltung und keine Andacht handelt, gilt die 2G-plus-Regel. (Die Veranstaltung ist bereits ausverkauft.) Weitere Informationen unter: http://www.kreuzkirche-dresden.de

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