Musikalischer Online Salon 22 #1

Format mit Musik und Diskussion fortgesetzt

Am gestrigen Dienstag begann die zweite Saison des Musikalischen Online Salons von Matthias Lorenz. Erneut stand ein Stück für Violoncello solo im Mittelpunkt, diesmal »AA-GA I« der südkoreanischen Komponistin Younghi Pagh-Paan. Dem bewährten Schema folgend, spielte Matthias Lorenz zunächst einen Teil des Stücks, an dieses »Einhören« schließt sich jeweils der Wortbeitrag eines Gastes an. Dafür hatte Matthias Lorenz die Musikwissenschaftlerin Hyesu Shin gewonnen, die sich von zu Hause, also aus Südkorea (Ortszeit: 3:30 Uhr!) zuschaltete und über die »Dialektik von Eigenem und Fremdem« sprach. Vor allem hatte sie Informationen zur Komponistin und ihrem Lebenslauf mitgebracht und beleuchtete deren musikalische Erfahrungen und Einflüsse, womit sie das »Eigene und Fremde« bereits in einen Subkontext stellte: Für westliche Hörer läßt sich asiatische Musik oft leicht als »typisch« erkennen, soweit sie bestimmte Erkennungsmuster, Melodik oder Instrumente beinhaltet. Will man jedoch koreanische von chinesischer, japanischer, vietnamesischer […] Musik unterscheiden, wird es schon schwieriger, ganz zu schweigen davon, daß die Provinzen in einem so großen Kontinent oft über eigene Klangsprachen verfügen.

Das »Eigene und Fremde« läßt sich also geographisch / politisch / musikhistorisch unterscheiden. Hinzu kommt – und hier griff Hyesu Shin den Lebenslauf der Komponistin auf – daß Younghi Pagh-Paan zwischen Kindheit und Jugend Hörerfahrungen mit westlicher Musik gemacht und gewaltige Unterschiede in ihrem Umfeld, etwa durch den Umzug vom Land in eine Großstadt, erfahren hat. All dies sind Faktoren einer Beeinflussung, die teilweise tiefgreifend ist und sich nicht in klare Elemente oder die Musik bezeichnende Attribute trennen läßt. Schließlich sind es Erfahrungen und damit Teile eines Lebens.

Younghi Pagh-Paan hat sich sowohl mit traditionell volkstümlicher wie mit kunstvoller Musik ihrer Heimat auseinandergesetzt, koreanische Instrumente kennengelernt, aber eben auch früh schon musikalisch westliche Erfahrungen gemacht und diese in eigene Stücke einfließen lassen, wie »AA-GA I« für Violoncello solo. Das Stück besteht aus neun Teilen, in denen es zwar Wiederholungen gibt, welche jedoch Veränderungen unterworfen sind, der Umgang mit diesen Wiederholungen und Veränderungen unterscheidet sich jedoch mit den uns vertrauten Variationen.

Die Frage, ob man eine Musik oder ihren Stil als »östlich« oder »westlich« begreifen kann, setzt zunächst einmal die Antwort auf eine andere Frage voraus: Wo stehe ich? Dies zumindest, meinte Friedemann Schmidt-Mechau (ebenfalls Komponist), sei immer wieder auch ein zentraler Punkt in der musikalischen Auseinandersetzung von Younghi Pagh-Paan und berühre damit auf konkrete Weise die von Hyesu Shin aufgeworfene Thematik, was das Eigene und das Fremde sein.

Der MOS kann wie immer auf YouTube nachgehört werden. Wer sich für das Stück interessiert, findet aber noch weitere Beispiele im Internet. Matthias Lorenz hat es darüber hinaus selbst aufgenommen – »AA-GA I« ist auf seiner CD »Cello Einsatz« (erschienen bei Querstand) enthalten. (Hyesu Shin meint, daß gerade diese Aufnahme Stellen aufweist, die traditionell koreanisch klingen, während sie viele andere Aufnahmen aus dem Internet enttäuscht haben.)

Die Serie der MOS in diesem Jahr stellt drei neue Werke vor, zwei davon sind Aufträge. Gleich im nächsten Salon am 8. Februar (Vorschauvideo ab 1. Februar) wird Gráinne Mulveys »Rho Cassiopeiae« uraufgeführt.

Weitere Informationen unter: http://www.matlorenz.de/mos/

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