Englands schönste Gärten

Daniel Harding und die Sächsische Staatskapelle sorgen für musikalischen Aufschwung

Verschlüsseltes und verstecktes zu entdecken kann in der Musik ebensoviel Freude bereiten wie das Abschweifen. Daniel Harding brachte zu seinem Auftritt in Dresden drei Stücke von der Britischen Insel mit, die das Repertoire bereicherten. Darüber hinaus gab es eine Wiederbegegnung mit dem ebenso sympathischen wie großartigen Capell-Virtuosen.

Nimmt man den englischsprachigen Raum oder das zwanzigste Jahrhundert, kann man Benjamin Britten beide Male zu den wichtigsten Komponisten zählen. Seine dramatische und aufregende Oper »Peter Grimes« stand vor nicht allzu langer Zeit auch auf dem Programm der Sächsischen Staatsoper – dahin würde man sie sich spätestens nach der Matinée in der Semperoper am Sonntag wieder wünschen. Freilich gab es hier »nur« die »Four Sea Interludes«, eine Suite, die Britten aus der Oper extrahiert hatte. Daniel Harding ließ hier nicht allein die Gegensätze von hohen Streichern und wuchtigem Orchestertutti aufeinanderprallen, sondern faßte das Stück psychologisch ausgefeilt auf. So ließ sich das Rufen eines Suchenden (oder gar einer verlorenen Seele) ebenso ausmachen wir das Dräuen von Meer und Wind. Die mittleren Sätze, thematisch / szenisch mit dem Sonntagmorgen und dem Mondlicht umschrieben, sorgten für belebende Frische, zugleich haftete den ausgeformten Details bis hin zu funkelnden Sternschnuppen (Oboe: Rafael Sousa) etwas Märchenhaftes an. Im letzten Satz (»Sturm«) freilich spitzte sich die Lage zu, eine Dramatik, die allein musikalisch schon unmittelbar packte.

Ein Violakonzert erlebt man gemeinhin recht selten. Die schönsten von ihnen nehmen sich gern auch namhafte Violinisten vor – nur versuchen sie häufig, den Stücken die Brillanz der Geige mitzugeben. Antoine Tamestit kennt die Viola besser und weiß ihr vielschichtige, subtile Farben zu entlocken. In den Ecksätzen von William Waltons Violakonzert offenbarte er – passend im Anschluß an den Orpheus Britannicus – eine Gesanglichkeit, die gekonnten Liedbearbeitungen nahekam oder an kammermusikalische Schmuckstücke wie August Klughardts »Schilflieder« erinnerten. Die Erwiderungen der Holzbläser auf die Solostimme blieben fein angemessen, die Streicher erwiesen sich in ihrer Geschmeidigkeit als ideale Begleiter. Daniel Harding formulierte ausführliche Orchesterpassagen sorgsam aus – hier war die Brillanz nun angebracht –, so daß sich keine Brüche ergaben, Akzente wie ein Harfenarpeggio fügten sich wohlplaziert ein. Wer solche Funde derart erlesen präsentiert, wird mit einem nachhaltigen Füßetrampeln belohnt!

Antoine Tamestit freute sich nicht nur, wieder vor Publikum spielen zu können (kurzfristig durften sogar 450 Besucher zu den beiden Vorstellungen am Sonntag und Montag kommen), sondern ganz besonders, wieder mit diese Orchester aufzutreten. Wie schon im November spielte er seine Zugabe daher nicht allein: Mit John Dowlands »Flow my tears« im Duo mit Harfenistin Johanna Schellenberg blieb es »very british«.

Der Inselcharme blieb auch nach der Pause erhalten. Nun zeigte Daniel Harding, daß Edward Elgars »Enigma-Variationen« weit mehr bieten als das gern zum Zugabenstück aufgeblähte »Nimrod«. Im Gegenteil – die Charakterstudien sind im Verbund ergötzliche Miniaturen, deut- und mißdeutbar. Wer beispielsweise glaubt, das in den Holzbläsern angedeutete Stottern einer jungen Dame habe etwas despektierliches, konnte sich schnell überzeugen – mitnichten! Im Gegenteil »Dorabella« (Variation Nr. 10) kam leichtfüßig und fröhlich daher wie ein Ballett von Tschaikowsky.

16. Januar 2022, Wolfram Quellmalz

Die Sächsische Staatskapelle Dresden ist mit dem Programm am Freitag im Wiener Konzerthaus zu erleben. Am Dienstag übertrug mdrKULTUR eine Aufzeichnung, die weiterhin in der Audiothek nachgehört werden kann.

Schreiben Sie einen Kommentar

Trage deine Daten unten ein oder klicke ein Icon um dich einzuloggen:

WordPress.com-Logo

Du kommentierst mit Deinem WordPress.com-Konto. Abmelden /  Wechseln )

Twitter-Bild

Du kommentierst mit Deinem Twitter-Konto. Abmelden /  Wechseln )

Facebook-Foto

Du kommentierst mit Deinem Facebook-Konto. Abmelden /  Wechseln )

Verbinde mit %s