Sächsische Staatskapelle und Manfred Honeck bereiteten ein außergewöhnliches Palmsonntagskonzert
Gewöhnlich verlaufen die Palmsonntagskonzerte der Sächsischen Staatskapelle Dresden etwas stiller. Einerseits, weil sie mitten in der Passionszeit zwar keinen direkten, oft aber einen indirekten Bezug auf den Beginn der Karwoche nehmen, andererseits, weil das Orchester – das es ja eigentlich nur einmal gibt – dann bereits im Salzburgischen weilt und die zurückgebliebenen Musiker nur eine kleine Orchesterstärke erlauben. Am Sonntagabend widerlegte Gastdirigent Manfred Honeck solcherlei Überlegungen jedoch nachhaltig. Er hatte sich mit dem Thema Tod musikalisch auseinandergesetzt und dafür den Tod Wolfgang Amadé Mozarts ausgewählt. Das Requiem KV 626 stand dabei im Zentrum des zweiten Teils, den Honeck auf die von Mozart als Noten, Particell oder Skizze niedergeschriebenen Requiemteile stützte, welche um weitere Musik, wie sie zu einer (Mozarts) Begräbnisfeier in der Wiener Michaelerkirche erklungen sein könnte, ergänzt wurden – ein Experiment.
Voran setzte Manfred Honeck zwei Werke, die zu diesem Zentrum hinführen sollten: die Ouvertüre Mozarts letzter Oper »La Clemenza di Tito« (KV 621) sowie Joseph Haydns Sinfonie Nr. 93 (D-Dur, Hob. I:93). Doch was hier über die Zuhörer hereinbrach, war nicht nur reichlich überdreht, es fehlte gerade in der Ouvertüre jede Geschmeidigkeit. Statt der gewohnten Präzision klang der Beginn wie ein Aufschrei. Mag man sich Haydns Sinfonie so effektlastig vielleicht noch im damaligen London vorstellen, so stellt sich doch die Frage, ob die Staatskapelle das richtige Ensemble ist, in solche »Originalklangsphären« vorzudringen – sollte sie das nicht MusicAeterna überlassen? Zumal ein Stück wie die Ouvertüre doch – mit Maß behandelt – im Konzert wohl anders klingt als aus dem Graben zu Beginn der Oper.
Nach dem in kaum einer halben Stunde »durchgehechelten« ersten Teil wurde es im zweiten nicht weniger extrem, doch war das Resultat ein gänzlich anderes. Auch hier klang nicht alles »schön«, doch mit einem Mal stand der Effekt im Sinne der Aufführung, der Mut zum (experimentellen) Risiko wurde belohnt und läßt über die eine oder andere »Kante« hinweghören. Denn tatsächlich gelang es Manfred Honeck, bis hin zum Chor gänzlich neue Höreindrücke zu erzeugen. Homogenität und Klang sind an sich ein Markenzeichen des Dresdner Kammerchores, der im Introitus des Requiems zunächst aber mit ungewohnter Härte der Konsonanten auffiel. Doch die Suche nach Klang und Affekt lohnte – immer stärker und emotionaler zog der Chor die Zuhörer in seinen Bann, das Offertorium wurde mit Freude gereicht!
Ulrich Tukur las an ausgewählten Stellen Texte, von Mozart selbst an den schwerkranken Vater, aber auch von Nelly Sachs (erschreckend: »Wenn im Vorsommer«), steigerte sich später (Offenbarungen des Johannes) in einen glaubhaft aufgewühlten Schrei – ein Duktus, den der Chor im anschließenden Dies irae aufgriff. Das Solistenquartett (Nikola Hillebrand / Sopran, Marie Henriette Reinhold / Alt, Sebastian Kohlhepp / Tenor, Mikhail Timoshenko / Baß) folgte der sehr emotionalen Auslegung, wobei vor allem Marie Henriette Reinhold und Sebastian Kohlhepp noch einmal für besondere Höhepunkte bzw. Tiefenwirkung sorgten. Ein wenig schade, daß sie hinter den Musikern standen, der sonst fabelhafte Mikhail Timoshenko klang anfangs ein wenig indirekt.
Doch die Aufführung war theatralisch wirkungsvoll bis zum Rahmen der dreifachen Glockenschläge. Zehn Sänger (Männerstimmen, Leitung: Kruzianer Karl Pohlandt) des Kreuzchores aus dem Hintergrund (nicht auf der Bühne) sorgten mit Gregorianischen Gesängen für zusätzliche Eindrücke und Gänsehaut. Mit einem zu Herzen gehenden Ave verum corpus (KV 618) klang ein ganz außerordentliches Sinfoniekonzert aus.
11. April 2022, Wolfram Quellmalz
Im nächsten Sinfoniekonzert der Sächsischen Staatskapelle (24., 25. und 26. April) dirigiert Ton Koopman Werke von Johann Sebastian Bach, Joseph Haydn, Antonio Vivaldi und Georg Friedrich Händel. Weitere Informationen: http://www.staatskapelle-dresden.de