Marek Janowski und die Dresdner Philharmonie mit sinfonischen Sätzen und Fragmenten
»Janowski dirigiert Wagner« hieß das am Sonntag zweimal im Dresdner Kulturpalast gespielte Konzert im Untertitel, doch wollte dies angesichts der Zusammenstellung nicht die ganze Wahrheit verraten, selbst wenn Richard Wagners »Siegfried Idyll« das bekannteste der Stücke und vielleicht der größte Reiz für den Erwerb einer Karte war. Den stärksten Eindruck hinterließ das Stück keineswegs. Zudem fehlte diesmal ein wirklich bindendes Glied im Programm. Auf zwei sinfonische Werke Jean Sibelius‘ folgten Wagner und »Drei Bruchstücke für Gesang und Orchester aus der Oper ›Wozzeck‹« von Alban Berg.
Der Beginn, noch mit Konzertmeister Ralf-Carsten Brömsel am ersten Pult, war nicht allein in der Stimmung außerordentlich stark. Jean Sibelius‘ siebente Sinfonie – zugleich seine letzte – besteht, wiewohl mehrteilig aufgebaut, aus nur einem Satz mit etwas mehr als zwanzig Minuten Länge. Dabei hatten Komponisten wie Bruckner oder Mahler zur Zeit seiner Entstehung die Dimensionen der Gattung längst gesprengt. Dennoch wirkt Sibelius‘ Sinfonie weder ausnehmend schlank noch »unterdimensioniert« oder fragmentarisch. Marek Janowski legte großen Wert auf einen sorgsamen Aufbau, der sich schon zu Beginn im stufenweisen Zunehmen zeigte – kein simples, effektvolles Crescendo, sondern bereits eine Geste des Wandels, welche der gesamten Sinfonie innewohnt. Janowski hielt sie im stetigen Fluß, einem Fluß, dessen »Bett« in den Streichern lag. Wirkungsvoll hoben sich die Bläser ab und schufen letztlich ein Gegenüber mit den Streichern, welches der Komponist im thematischen Aufbau bewußt vermieden hatte. Der Wandel lag aber auch im Wechsel der Rollen, machte das markant hervorgehobene Thema in der Bratschengruppe deutlich. Eine Urkraft schien dem innezuwohnen, nicht brachial, aber fokussiert, hin und wieder von erhabenen Blechbläsern zerklüftet. Den erwarteten apotheotischen Schluß führte Sibelius in eine öffnende Figur – staunenswert.
Noch erstaunlicher war die Stimme von Camilla Nylund, welche zuerst Sibelius‘ »Luonnotar«-Tondichtung für Sopran und Orchester (Opus 70) und schließlich Alban Bergs »Wozzeck«-Bruchstücke ausleuchtete. Phänomenal war, wie wandlungsfähig Nylunds Sopran dabei blieb. In »Luonnotar« mußte sie drei Rollen ausfüllen, bei Wozzeck zwei – erzählerisch und dramaturgisch war sie genauso stark wie sie emotional und sinnlich darzustellen vermochte. Dabei verblüffte die Klangfülle ihrer Stimme, die sich noch in der Höhe kraftvoll steigern konnte, ohne gleißend zu werden (»Heiland«-Ruf des zweiten Bruchstücks)! Überhaupt war dieser »Wozzeck« ein starker Abschluß. Ava Bahari hatte im zweiten Teil als Gast das Konzertmeisterpult übernommen, im Orchester dräute das ganze Ungemach des Opernstoffes, der sich nicht allein in den gedämpften Blechbläsern ankündigte, sondern noch unterschwellig in den Streichern mitschwang. Für Kontrast sorgten die Solisten der Dresdner Kapellknaben im dritten Bruchstück (nach dem 3. Akt, 4. und 5. Szene der Oper). Ihr kindliches »Ringel, Ringel, Rosenkranz« glich Engelsgesang – dem Gesang der unschuldig Schuldigen (der Kinder bzw. Maries Sohn in der Oper »Wozzeck«)?
Richard Wagners »Sigfried-Idyll«, welches nach der Pause an dritter Stelle erklungen war, fehlte es im Gegensatz, wiewohl fein und kammermusikalisch musiziert, im Vergleich an jener Spannung, die zuvor das emsige Weben des »Luonnotar«-Bildes bestimmt hatte.
25. April 2022, Wolfram Quellmalz
In dieser Woche beginnen die Feierlichkeiten zum 5. Jahrestag der Wiedereröffnung des Dresdner Kulturpalastes. Die Dresdner Philharmonie erwartet am Wochenende den Schriftsteller Bernhard Schlink (»Die Enkelin«) zu einem musikalisch-literarischen Abend, am Wochenende sorgt Marek Janowski für ein Gipfeltreffen zwischen Johannes Brahms (Violine: James Ehnes) und Karl Amadeus Hartmann. Mehr unter: http://www.dresdnerphilharmonie.de