Der Herr ist mein Hirte

Kreuzvesper zum Sonntag Misericordias Domini

Auch in der Dresdner Kreuzkirche wird, dem Kirchenkalender folgend, die Osterzeit gefeiert. Zum gestrigen Sonntag lautete das Motto (bzw. der dazugehörige Psalm) »Der Herr ist mein Hirte«, am Vorabend erklangen die Zeilen in einer Vertonung Georg Philipp Telemanns in der Kreuzvesper.

Zunächst aber sorgte Kreuzorganist Holger Gehring mit Toccata, Adagio et Fuga C-Dur (BWV 564) von Johann Sebastian Bach an der großen Jehmlich-Orgel für einen hellen Aufklang und eine große Eröffnung – statt eines kurzen Introitus zum Einzug wurde die Vesper mit einem der prächtigsten Werke der Orgel(konzert)literatur eröffnet.

Danach wechselte Holger Gehring an die kleine bzw. mittelgroße (wie man bald sagen muß, lesen Sie demnächst mehr zu den Orgeln der Dresdner Kreuzkirche bei uns) Wegscheider-Orgel. Denn nun übernahm die Capella Sanctae Crucis Dresden in kleiner Besetzung die musikalische Ausgestaltung der Andacht. Ein wenig schade war, daß sie dabei nicht wie gewohnt vorn in der Mitte des Altarraumes standen, sondern rechts hinten, weshalb die Stimmen von Heidi Maria Taubert (Sopran), Adela Drechsel (Barockvioline) und Juliane Gilbert (Barockcello) selbst in Reihen im vorderen Bereich klangen, als kämen sie von weiter hinten.

Georg Philipp Telemanns Kantate »Hirt‘ und Bischof uns‘rer Seelen« (TWV 1:805) hätte die zentralere Position sicher gutgetan, denn der Vortrag war außerordentlich schlank, klar und verständlich – ein direkterer Eindruck wäre also noch schöner gewesen. Auch, weil sich Telemann erneut als innovativ und einfallsreich zeigt, und sei es in den Stimmen des Basso continuo, welche nicht in der Begleitung verharren, sondern in die Melodie (und wieder zurück) wechseln.

Den brillanten und durchaus galanten Telemann gab es dann noch einmal in der Sonata D-Dur. Adela Drechsel ließ ihren Bogen gerade in der Corrente virtuos springen, doch galt Telemann wohl weniger der Effekt als die grundsätzliche Stimmung – und die führte die Violine in eine elegante Violalage.

Das Bild des »guten Hirten« griff OLKR i. R. Martin Lerchner in seinem Wort zum Sonntag auf, so wie es im Gemeindegesang aus »Der Herr ist mein getreuer Hirt« (EG 274) noch einmal im Mittelpunkt stand.

Georg Friedrich Händel hatte die Zeilen ebenfalls in seinen »Messiah« (HWV 56) einbezogen. Das Werk ist auf englisch verfaßt und klingt – theoretisiert hier ausnahmsweise der Rezensent – an sich auch schöner, wenn man es im Original hört (der geneigte Interessent mag einmal den Eindruck vergleichen, den allein »wonderful« / »wundervoll« im Chor »For unto us a child is born« / »Denn es ist uns ein Kind geboren« bei ihm erweckt), doch im Zusammenhang mit der Vesper ist ein deutscher Text natürlich fokussierender, wenn nur eine einzelne Aria erklingt. »Er weidet seine Herde« verfehlte seine (Text)wirkung daher nicht, stellte den Kontrast zwischen beschriebenen Nöten, Mühseligkeit, Traurigkeit und der wunderschönen Melodie noch deutlicher heraus.

1. Mai 2022, Wolfram Quellmalz

Die kommende Kreuzvesper steht im Zeichen des Festjahres Schütz22 und ist Teil des Barock.Musik.Festes. Der Kreuzchor (Leitung: Kreuzkantor Roderich Kreile) singt Werke aus den »Geistlichen Chormusiken« und den »Psalmen Davids« von Heinrich Schütz. Musikalische Begleitung: Cappella Sagittariana Dresden und Kreuzorganist Holger Gehring. Liturgie: Pfarrer Holger Milkau. Weitere Informationen unter: http://www.kreuzkirche-dresden.de

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