Sir Simon Rattle und das Chamber Orchestra of Europe präsentieren Strauss und Mahler zu den Dresdner Musikfestspielen
Während seiner Tour durch Europa (heute und in den kommenden Tagen folgen Auftritte in Luxemburg, Köln, im Wiener Musikverein sowie in der Elbphilharmonie) machte das Chamber Orchestra of Europe gestern Station bei den Dresdner Musikfestspielen. Im Dresdner Kulturpalast vollführte Sir Simon Rattle zunächst Richard Strauss‘ Metamorphosen, im Anschluß daran erklang, mit Mezzosopranistin Magdalena Kožená und Tenor Andrew Staples, Gustav Mahlers »Lied von der Erde«.
Simon Rattle wird vor allen als Sinfoniker, ja, mitunter als sinfonischer Magier gerühmt. Gestern konnte man erleben, was dies bedeutet. So hatte er die 23 Solostreicher für Strauss‘ Metamorphosen um sich gruppiert, doch schon die Aufstellung wich etwas von der gewohnten Halbkreisform ab. In zwei gebrochenen Bögen sammelten sich die Musiker um den Dirigenten, der in dieser Sitz- bzw. Stehordnung offenbar ein probates Mittel fand, Soli ebenso zu unterstreichen wie die Gruppen (Violen, Celli) vorübergehend enger zu binden. Und das gelang ihm faszinierend. Vibrierend, bebend möchte man sagen, vollzogen sich hier tatsächlich musikalische Metamorphosen. Ein stetiger Wandel, an dem 23 Stimmen woben – ein Gewebe, dessen Farben changierte, dessen Dichte zu- und abnahm, den Spannungsfaden indes ließ Rattle nie reißen.
Zu ebener Erde stehend ordnete der Dirigent die Stimmen, die einmal mit starkem Vibrato hervortraten, dann wieder ebenmäßig in eine Fuge fanden. Beeindruckend gelang so unter anderem ein Crescendo im Tutti – gleißend, aber nicht blendend.
Nach der Pause, nun mit vollem Orchester sowie mit Solisten und Dirigentenpult, gab es Gustav Mahlers »Lied von der Erde« in der Fassung für Kammerorchester von Glenn Cortese. Wieder war die Orchesteraufstellung – Kontrabässe mittig – ungewöhnlich. Auch das zeichnet einen guten Dirigenten aus, daß er sich der Mittel bedient, die Saalakustik zu erobern, und deren Wirkung vorab prüft.
Mit Magdalena Kožená und Andrew Staples standen zwei hervorragende Sänger zur Verfügung, freilich hatte Staples zu Beginn dennoch mühe bzw. mußte spürbar Kraft aufwenden, um sich gegen den massiven Orchesterklang durchzusetzen. Insofern fragte man sich, was an dieser Fassung denn der »Kammer« entsprach (ohnehin fehlte die in der Bearbeitung angegebene Mandoline). Es ist bei Mahlers Orchesterliedern zudem immer schwer, die Sänger zu verstehen – daß die Programmhefte die Texte nicht angaben, war um so bedauerlicher.
Im Ausdruck überzeugten die beiden Solisten dagegen ohne weiteres. Gerade Magdalena Kožená im Mezzo (statt Alt wie von Mahler angegeben) konnte mit aufgehelltem Timbre die Stimmung bereichern. Ihr gehörten in den zarteren Passagen auch die verständlicheren und anrührenderen Passagen.
Sir Simon Rattle ordnete das Orchester – soweit von Mahler zugelassen – dem Gesang unter und legte Wert auf Soli und Duette von und mit den Holzbläsern. Gerade eine wunderbare Flöte, aber auch die vielseitig (melancholische) Oboe und Klarinette fielen angenehm ins Ohr. Im Lied »Von der Schönheit« wiederum wiegten sich die Violinen in derselben. Beindruckend gelangen die Schatten der Vergänglichkeit, die Andrew Staples dem vorletzten Lied (»Der Trunkene im Frühling«) einhauchte.
Sir Simon Rattle schien’s zufrieden und bedankte sich per Handschlag bei Stimmführern und Solisten – das Publikum war es sowieso.
1. Juni 2022, Wolfram Quellmalz