Weit ausgeholt

Joana Mallwitz und die Dresdner Philharmonie boten Weill, Tschaikowski und Brahms

Das Sinfoniekonzert der Dresdner Philharmonie am Wochenende in Zusammenarbeit mit den Dresdner Musikfestspielen sorgte für eine Rückkehr von Joana Mallwitz. Die gefragte Dirigentin ist derzeit auch mit der Neuproduktion »Rusalka« in Dresden zu Gast, im Konzert blieb sie überwiegend bei einem romantischen Programm.

Doch »überwiegend« heißt, daß zumindest ein Teil der Stücke außerhalb der Epoche lag, in diesem Fall Kurt Weills erste, die sogenannte »Berliner Sinfonie«. Damit präsentierte Joana Mallwitz eine erstaunliche Pretiose, und die Suche, »wonach« diese klingt, führte die Zuhörer ebenso zu Komponisten nach Berlin oder Wien wie nach Amerika (etwa Aaron Copland). Das Werk in einem Satz begann mit scharfen, kantigen Akzenten, bot aber auch zahlreiche kammermusikalische Elemente, vom Stimmführerquartett über feine Pizzicati bis zu Bläsersoli. Joana Mallwitz arbeitete die Strukturen sorgsam und präzise heraus, die Philharmonie behielt dabei meist einen eleganten Klang – die erregende Aufgewühltheit des Berlin der 1920er Jahre vermißte man dagegen. Die Entdeckung wäre es aber wert, einmal vertieft zu werden, in einem Abend mit ersten Sinfonien dieser Zeit zum Beispiel.

Mit Peter Tschaikowskis »Rokokovariationen« verbanden sich danach die Epochen, denn der Komponist schrieb seinem Werk die Elemente der Vergangenheit ebenso ein, wie er den eigenen Gestus nicht verschwieg – ein weites Feld, in dem sich Solist Gautier Capuçon und Joana Mallwitz genüßlich vertieften. Bei »Rokoko« denken manche noch an Zöpfe und Perücken, von seiner Mähne hat sich Gautier Capuçon jedoch schon länger getrennt. Geblieben ist – und das zählt – sein gesangliches Spiel, seine Lust, sich in den Kantilenen zu verlieren, ohne dabei abzuschweifen. Capuçon fand zu feinsten und zartesten Gesten, welche das Orchester kongenial aufnahm. In der Balance der Soli sorgte das für eine Variabilität und Belebung, denn die Einwürfe von Flöte oder Klarinette durften im Duett durchaus einmal führen, den »Ton angeben«. Dafür schien es beinahe, als wolle der Solist einmal tremolierend zum »Hummelflug« durchstarten – Tschaikowski birgt eben manche Schelmerei.

Eine weitschweifige Romantik liegt Gautier Capuçon wie beschrieben aber nicht, und so fand er gerade in den virtuos komplizierten und capricieusen, kadenzartigen Überleitungen Vergnügen und Gelegenheit, sein Können angenehm darzustellen.

Die Zugabe am Sonnabend war mit der Dirigentin abgestimmt – der »Gesang der Vögel« (El cant dels ocells) des Katalanen Pablo (Pau) Casals boten die Musiker gemeinsam (sonst oft für Cello solo) als Friedensbotschaft für die Ukraine. Allerdings dehnten Cellist und Dirigentin das Werk so weit, daß es fast den Zusammenhalt verlor.

Dabei ist Joana Mallwitz‘ Dirigat sonst eher fordernd, agitativ. So energisch, könnte man meinen, müßte es gar nicht sein, schließlich ruft sie im Konzert doch ab, was in den Proben erarbeitet wurde. In Johannes Brahms‘ erster Sinfonie war die Balance zunächst merklich zu den Blechbläsern und Pauken verschoben, Brahms‘ besonders verinnerlichter sinfonischer Klang erstand erst nach und nach. In den Mittelsätzen sorgten einzelne Soli für eine pointierte Wiedergabe, solche Betonungen und Balanceverschiebungen minderten aber die aus den Streichern resultierende Grundspannung. Den vierten Satz formte die Dirigenten zu einem eindrucksvollen Finale, daß nach düsterem Beginn (der an den Holländermonolog »Wann alle Toten auferstehn« erinnerte) vor allem vom Energieschub und den Feuerstößen der beeindruckenden Blechbläser lebte. Allerdings gefielen auch die lebendig schnurrenden Fagotte nebst Kontrafagott. Manches wirkte trotzdem übermäßig aufgeheizt – über den Choral hinaus hätte man sich mehr Tragweite und Bedeutung der Homogenität gewünscht.

29. Mai 2022, Wolfram Quellmalz

Am kommenden Wochenende treffen sich bei der Dresdner Philharmonie Schostakowitsch und Rachmaninow bzw. Vilde Frang (Violine) und Kahchun Wong (Dirigent). Weitere Informationen unter: www.dresdnerphilharmonie.de bzw. http://www.musikfestspiele.com

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