Dresdner Kapellsolisten feiern Amalie von Sachsen

Oper »Elvira« zeigt: die Prinzessin war mehr als eine begabte Dilettantin

Barberina, Fernando, Pedrillo … die Figuren der Oper »Elvira« scheinen uns vertraut, und auch die Geschichte – Elvira wird entführt und in einem Serail gefangengehalten – meinen wir zu kennen. Doch nicht erst, wenn (mit Ausnahme von Pedrillo) die geläufigen Namen nicht zum bekannten Stück (»Die Entführung aus dem Serail«) passen, stellen wir fest – es handelt sich nicht um Mozart. Nein, »Elvira« ist in Wort und Noten ein Werk der Sächsischen Prinzessin Amalie von Sachsen (1794 bis 1870).

DAS STÜCK

Elvira und ihre Dienerin Barberina wurden entführt und im Serail von Prinz Muley gefangengehalten. Der Prinz ist für Elvira »entflammt«, sein Vertrauter Ali hat es auf Barberina »abgesehen«. Der Doppelhochzeit steht jedoch entgegen, daß die beiden Frauen nicht einwilligen. Abgesehen vom Zwang sind beide nämlich längst verlobt.

Elviras Bräutigam Fernando und dessen Diener Pedrillo haben sich auch bereits auf die Suche nach ihren künftigen Frauen gemacht. So finden sie bald Muleys Palast, wohin sie – als Sänger verkleidet – eingeladen werden. Dort wird ein Hochzeitsfest vorbereitet – die Eifersucht läßt Fernando an Elviras Treue zweifeln. Die Katastrophe scheint unausweichlich: Fernando will sich das Leben nehmen, Elvira darf nicht zu erkennen geben, daß sie Fernando kennt, sonst wäre seine Tarnung entdeckt.

Prinz Muley selbst »entschärft« die Situation, indem er Fernando von Elviras Weigerung erzählt. Durch einen Kniff können Fernando und Elvira miteinander reden – sie wollen gemeinsam fliehen. Auch Barberina täuscht Ali eine Vereinbarung vor, doch Mißtrauen, Versteckspiele und Belauschen vereiteln den Plan. Elviras Standfestigkeit ist jedoch ungebrochen – niemals will sie einen anderen als Fernando heiraten! Als es zu einem Kampf zu kommen scheint, erkennt Muley am Schwert von Fernando, daß dieser einst sein Lebensretter war – schweren Herzens läßt er die beiden Paare in ihre Heimat zurückkehren.

DIE AUFFÜHRUNG

Das Stück, für eine private Feier am Sächsischen Hofe (Geburtstag von König Friedrich August I.) geschrieben und am 23. Dezember 1821 uraufgeführt, zählt heute in Autographen, handschriftlichem Aufführungsmaterial und ähnlichem zum Bestand der Sächsischen Landesbibliothek – Staats- und Universitätsbibliothek Dresden. Erst 2019 aber erschien der Erstdruck im Verlag Edition Serena. Somit handelte es sich bei der gestrigen Aufführung im Rahmen der Dresdner Musikfestspiele im Palais im Großen Garten um die (konzertante) erste öffentliche Aufführung überhaupt.

Konzert im Palais im Großen Garten: Amalie von Sachsen »Elvira «, von links:  Romy Petrick (Barberina), Stephanie Atanasov (Elvira), Helmut Branny (Leitung), Carlos Moreno Pelizari (Fernando), Carl Thiemt (Ali), im Hintergrund: Dresdner Kapellsolisten. Foto: Dresdner Musikfestspiele, © Oliver Killig

»Elvira« ist nicht allein ein hörenswertes Werk, seine Komponistin war talentiert, erfahren und hervorragend ausgebildet. Zu ihren Lehrern hatten unter anderem Joseph Schuster, Franz Anton Schubert, Vincenzo Rastrelli sowie (später) Carl Maria von Weber gehört. Wenn das Werk den Einfluß von Mozart und Rossini erkennen läßt und die Klarinette einmal an Carl Maria von Weber erinnert, mindert dies den Wert der Oper um kein Jota – der Einfallsreichtum der Komponistin und die Identität des Stückes bleiben ohne Tadel. Zudem konnte Amalie Stoffe und Werke auch reflektieren und verfügte über ein ausgesprochenes dramaturgisches Geschick – man kann die »hübsche« Komposition einer begabten Dilettantin leicht loben, wenn es sich um ein viertelstündiges Konzert oder eine Sonate handelt. Um jedoch die komplexe Spannung eines Opernstoffes über zwei Stunden zu erhalten und sich das ausgewiesene Lob eines Carl Maria von Weber zuzuziehen, bedarf es weit mehr. Daß der Königliche Kapellmeister in seinem Tagebuch (man darf annehmen, daß er sich hier offener äußerte als im Falle eines öffentlich geäußerten, aber wohlmeinenden Lobes) »Abends zur Prinzeßin Amalie. Ihre Oper Elvira gehört. Über meine Erwartung gut.« notierte, zeugt von höchster Anerkennung.

Solche gebührt auch den Dresdner Kapellsolisten und ihrem Leiter Helmut Branny, der – bis zur Einbindung der Gesangssolisten – für eine unauffällige Verbindlichkeit sorgt. Wiewohl er selbstredend Einsätze gibt und Affekte setzt, wird sein Dirigat weniger von Anweisungen geprägt als daß es eine Ensemblekultur zwischen den (auch instrumentalen) Solisten bewirkt – der Name des Orchesters ist also Programm.

Neben der dramaturgischen und szenischen Gestaltung beeindruckt »Elvira« zudem in der individuellen Figurenzeichnung. Mit Stephanie Atanasov (Elvira), Romy Petrick (Barberina), Carlos Moreno Pelizari (Fernando), Falk Hoffmann (Prinz Muley), Carl Thiemt (Ali) und Clemens Heidrich (Pedrillo) wurden diese noch charmant belebt, wobei Stephanie Atanasov mit ihrem golden gesäumten Mezzo und vor allem Carlos Moreno Pelizari mit seiner emotionalen und tenoralen Farbigkeit das höchste Lob verdienten und für die lebendigste Darstellung sorgten.

Einziger, aber betrüblicher Wermutstropfen: In der Nachcoronazeit gibt es (noch?) keine richtigen Programmhefte, nur Faltblätter, welche aber meist nur Werk und Akteure nennen. Wer nicht digital vorgesorgt oder sich das Libretto ausgedruckt hatte (Achtung – Raschelgefahr!), blieb über den genauen Text und damit – leider! – auch vergnügliche Szenen im Unklaren. Denn auch diese Zuspitzung – die Komponistin und Dichterin war später noch mit zahlreichen Lustspielen erfolgreich – beherrschte Amalie.

Die Verdichtung und Dramaturgie wurde dennoch deutlich, denn das Werk enthält zahlreiche Terzette und spitzt sich in mehreren Stufen zu einem echten Finale mit Sextett zu.

7. Juni 2022, Wolfram Quellmalz

Auf weitere Amalie-Entdeckungen dürfen wir gespannt sein so wie auf die Aufzeichnung von MDR Klassik. Diese soll im Rahmen des ARD-Radiofestivals voraussichtlich am 20. August (20:04 Uhr) gesendet werden.

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