Im Aus- und Rückblick

Kammerabend der Sächsischen Staatskapelle fokussiert auf zwei befreundete Komponisten

Claude Debussy und Igor Strawinsky mögen einander in den Lebensdaten eher fern als nah sein, auch ihre Klangwelten scheinen zunächst mehr zu trennen, als sie eint, dennoch bewunderten beide einander und dürften die eine oder andere Inspiration weitergegeben bzw. aufgenommen haben. Zudem sorgten sie – wiederum auf höchst unterschiedliche Weise – einerseits für ungewohnte, vollkommen neue, wenn nicht revolutionäre Eindrücke, andererseits nahmen sie überlieferte Formen auf und interpretierten sie neu.

Von diesem 2-x-2-Charakter war der Kammerabend der Sächsischen Staatskapelle geprägt, der am Sonntagabend in der Semperoper Debussy und Strawinsky mit neuzeitlichen und retroinspirativen Stücken gegenüberstellte. Vom ursprünglichen Plan, jedem der Komponisten jeweils eine Konzerthälfte zu widmen und sich in der Besetzungsstärke allmählich zu steigern, waren die Musiker kurzfristig abgerückt – sehr zum dramaturgischen Gewinn, wie sich zeigen sollte, denn so durften mit Claude Debussys Zwei Tänzen für Harfe und Streichquintett die ausdrucksstärksten Stücke den Abend beschließen.

Am Beginn stand ein Werk, in dem sich sogleich Moderne, Form und eine intensive Farbgestaltung vereinten: Igor Strawinskys Septett für Klarinette, Horn, Fagott, Violine, Viola, Violoncello und Klavier mit Moritz Pettke, Marie-Luise Kahle, Thomas Eberhardt, Lukas Stepp, Uhjin Choi, Norbert Anger sowie als Gast Johannes Wulff-Woesten. Wie noch mehrfach an diesem Abend zeigte sich neben einem homogenen Tutti von Streichern und Bläsern feinen Äderchen gleich die Bezüge in den Stimmen, wie im zweiten Satz, der zwischen Klarinette, Violoncello, Viola und Fagott pendelte, bevor sich die Passacaglia erkennbar aufspannte.

Daß der vielbemühte Vergleich mit dem Impressionismus bei Claude Debussy plausibel ist, bewiesen Anke Heyn und Johanna Schellenberger in der Sonate für Violoncello und Klavier d-Moll, welche in der Fassung für Violoncello und Harfe noch etwas luftiger ausfiel. Daß man den Impressionismus allerdings nicht auf jedes Stück des Komponisten »kleben« darf, machte die Sonate für Flöte, Viola und Harfe deutlich. Nun mit Rozália Szabó (Flöte) und einem atemberaubend ausdrucksstarken Wen Xiao Zheng als Gast. Der Solobratschist der Bamberger Symphoniker fand zunächst harmonisch ins Trio, übernahm den Ton der Flöte, um ihn sodann auszuspinnen, ihren Triller setzte er mit Vibrato fort, derweil die Harfe wasserklar ein fast stofflich tragendes Gewebe malte. Doch die Viola durfte noch mehr auftrumpfen, herb, charmant, fremd klingen, impulshaft treiben – Wen Xiao Zheng prägte dem Stück als Gestaltungsmagier eine besondere Note auf!

Mit dem Oktett für Bläser von Igor Strawinsky, ursprünglich als Finale gedacht, war nicht nur die größte Besetzungsstärke erreicht, es benötigte in seiner wandlungsvollen Komplexität zudem einen Koordinator – Alexander Bülow ordnete hier mit sorgfältiger Hand, so daß sich Wellenmotive ausbreiten konnten, ohne im Echo oder Überschlag zu verlöschen. Immer wieder aber rückten Flöte (Sabine Kittel) und Klarinette (Moritz Pettke) ins Zentrum des Geschehens.

Dieses – Zentrum – änderte sich noch einmal enorm, denn Claude Debussys Zwei Tänze für Harfe und Streichquintett wurden hier nicht nur gespielt, sondern diesmal aufgeführt. Gustavo Chalub und Yazmin Verhage stellten die beiden Teile (sacrée und profane) in klassischen Figuren dar, allein oder im Paar, synchron oder symmetrisch. Ihr Fokus lag auf den Relationen, nicht in großen Bewegungen oder Posen. So war der zweite Tanz nicht grundsätzlich ein anderer, sondern von größerer Intensität, verbunden mit körperlicher Nähe, gekennzeichnet. Kein Impressionismus, keine »Blumen wiegen sich im Sommerwind« – Gustavo Chalubs und Yazmin Verhages Tanz wirkte organisch und glaubwürdig.

20. Juni 2022, Wolfram Quellmalz

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