Dresdner Philharmonie beschloß die Spielzeit mit Haydn
Was für einen Spagat haben der Komponist Joseph Haydn und sein Textdichter Gottfried van Swieten da hingelegt: ein Werk der Aufklärung, das die Schöpfungsgeschichte darstellt – wobei die Textvorlage John Miltons (»Paradise lost«) nach der Schöpfung gleich den Sündenfall, also den Verlust des Paradieses, schildert – ein Stück, das klassische Elemente des Barock und der Händel-Pflege aufgreift, aber ebenso in die Romantik weist. Den Sündenfall haben Haydn und van Swieten allerdings weggelassen, statt dessen steht am Ende ihres Schöpfungsaktes der Mensch in seinem Selbstverständnis, seiner Verantwortung, seinem Tatendrang.
Die Dresdner Philharmonie hatte nicht nur mit einer Serie von Haydn-Sinfonien während der Pandemiezeit bewiesen, daß sie Haydn erfrischt darzubieten weiß. Oder liegt es in einer Art Altersweisheit, in der sich Chefdirigent Marek Janowski und Komponist Joseph Haydn »treffen«? Janowski zumindest versteht es, noch einen großen Orchesterapparat luzide klingen zu lassen – für Joseph Haydns Oratorium »Die Schöpfung« keine schlechte Voraussetzung.
Am Wochenende gab es das noch einmal zu erleben, am Sonntag wieder zur mittlerweile gewohnten Vorabendzeit (18:00 Uhr). Wie oft hatte sich Marek Janowski die Unterstützung des MDR-Rundfunkchores gesichert (Einstudierung: Sebastian Breuing), dazu Christiane Karg (Sopran), Benjamin Bruns (Tenor) und Tareq Nazmi (Baß) als Solisten. Als Gast am Hammerklavier begleitete Kreuzorganist Holger Gehring die vielen Rezitative mit schlankem Silberklang.
Das Licht bricht sich bei Haydn vergleichsweise harmonisch Bahn. In Jean-Féry Rebels »Les elements« zumindest ist das Chaos zu Beginn absolut spektakulärer. Doch Haydn (und van Swieten) zielten auf den Intellekt des aufgeklärten Menschen und stellten emotionale Effekte weniger heraus.
Um so wandlungsfähiger mußten sich die Solisten zeigen, die als Erzengel Raphael (Tareq Nazmi), Uriel (Benjamin Bruns) und Gabriel berichten (Christiane Karg). Tareq Nazmi überzeugte mit elegantem Baß, der sich melodisch formen ließ und schon im ersten Rezitativ unter die Haut ging, während Benjamin Bruns und Christiane Karg (im dritten Teil als Adam und Eva) sich bis in fast opernhafte Arien steigerten. Doch auch hier waren es weniger emotionale Ausbrüche, sondern die lichten Glitzergirlanden von Koloraturen (Karg) oder der hymnische Siegesgestus, den Benjamin Bruns Uriels »Mit Würd‘ und Hoheit angetan«, sozusagen zum Vollendungspunkt, unterlegte. Strahlkräftig, aber dennoch mit tenoraler Weichheit, ausdrucksstark in seiner expressiven Verkündung (und bestens verständlich), so mustergültig hört man diese Arie selten – um so schöner, da die Konzerte für eine CD-Produktion mitgeschnitten wurden.
Und die wird auch von der Gesamtbindung profitieren. So agierte der MDR-Rundfunkchor nicht nur mit sicherer Diktion, sondern setzte oft in der Steigerung einer Phase das musikalische I-Tüpfelchen, weil er bekräftigen, zusammenfassen mußte. Daraus resultierte kein Fingerzeig des Moralisierens, sondern lichte Momente. Noch im »Dich beten Erd‘ und Himmel an« sank der Chorklang nicht frömmelnd devot ab, sondern brachte den Satz bei klarem (Selbst)bewußtsein auf den Punkt. Das darauffolgende Duett von Adam und Eva wiederum war kein säuselndes Liebesgeplänkel. sondern bewies eine innige, an Beethoven gemahnende Verbundenheit.
Die Dresdner Philharmonie formte das Geschehen aus, setzt immer wieder Achtungszeichen, wie beim Sturz der Höllengeister zu Beginn, malte später die entstehende Flora und Fauna bis zum Gurren der Tauben (Fagotte) und dem Schlagen der Nachtigallen (Flöten) pittoresk aus. Am wichtigsten blieb dennoch das sinfonische Moment, wohldosierte Steigerungen, welche die Fokussierung unterstrichen.
11. Juli 2022, Wolfram Quellmalz