Organist Thomas Lennartz kehrte als Gast an ehemalige Wirkungsstätte zurück
So »ehemalig« ist die Katholische Hofkirche (Kathedrale) als Wirkungsstätte für Thomas Lennartz gar nicht. Denn seitdem er 2014 eine Professur für Orgelimprovisation an der Hochschule für Musik und Theater »Felix Mendelssohn Bartholdy« Leipzig übernahm (außerdem Direktor des Kirchenmusikalischen Instituts), ist der ehemalige Domorganist trotzdem fast regelmäßig in Dresden zu erleben, wobei vor allem liturgische Dienste an Hof- und Kreuzkirche in seinem Plan stehen. Gestern kam Thomas Lennartz im Rahmen des Dresdner Orgelzyklus‘ an seine ehemalige Wirkungsstätte und die Silbermann-Orgel zurück.
Sein Programm schien eigentlich so gar nicht zum 1755 eingeweihten Instrument zu passen – erstens waren viele der Stücke deutlich später entstanden, zudem hatte Thomas Lennartz französische Werke ausgesucht, welche sinfonisch angelegt sind, die also nach Farben und Stimmung verlangen. Ein Vorzug der Silbermann-Orgeln besteht aber gerade darin, daß sie einen kernigen, kräftigen Klang haben – so ziemlich das Gegenteil also von Farbschimmer und Stimmung.
Doch versierte Organisten wissen sich einzurichten, und aus der Kenntnis von Raum und Instrument konnte Thomas Lennartz ganz hervorragend sowohl die Werke auswählen als auch die Registrierung festlegen und sein Spiel anpassen.
Im Prélude aus Maurice Duruflés fünfter Suite erwachte eine Melodie mit Lichtschimmer über einem Baß, begann lebhaft zu flimmern und gewann – auf Silbermann ziemlich unerwartet – pastellene Töne zu entwickeln. Dies zu erreichen erforderte nicht allein flinke Hand- und Fußarbeit, sondern eine ebensolche Registrantin, die eilig links und rechts für die rechte Orchestrierung zu sorgen hatte.
Auf diesen französischen Akzent setzte Thomas Lennartz sogleich einen Reflex und improvisierte eine »Hommage à M. Duruflé« über den Gregorianischen Hymnus Veni creator spiritus (»Komm, Schöpfer Geist«), der zunächst hell funkelte, später einer Wasserfontaine gleich zu sprudeln begann. Hier und mehr noch in einer zweiten Improvisation später stellte Thomas Lennartz eher komplexe Bezüge her, als daß er allein frei über ein (einfaches) Thema improvisierte.
Mit Charles-Marie Widor (Praeludium circulare und Final, die Ecksätze aus der zweiten Orgelsinfonie) und Louis Vierne (Fugue, Pastorale und Finale aus der ersten Orgelsinfonie) bot er zudem zwei Werke, die nicht nur dem Namen nach, sondern im Klang wesentlich sinfonisch waren. Thomas Lennartz brachte beider Komponisten Auszüge ganz vorzüglich, das heißt durchhörbar, zum Ausdruck, dabei waren die Kompositionen ursprünglich doch ganz anders, das heißt auch durch andere Instrumente geprägt (Widor wie Vierne standen Orgeln von Aristide Cavaillé-Coll zur Verfügung).
An Johann Sebastian Bach kam das Programm dann doch nicht vorbei. Gleich zwei Choralvorspiele zu »Wenn wir in höchsten Nöten sein« hatte Thomas Lennartz im Programm. Beiden gemein ist der aufstrebende Charakter, die hoffnungsvolle Hinwendung. Über dem Baß erklang – jetzt ganz Silbermann-gemäß – die kraftvolle Sing- bzw. Melodiestimme. Dazwischen hatte Thomas Lennartz die zweite Improvisation gesetzt, die aber ebenso durchdacht wie die erste, wenn nicht noch komplexer war. In Form von Prealudium und Fuge empfand er Bach nach, als sei es ein ausnotiertes Stück, bevor er Louis Vierne das Schlußwort überließ.

8. September 2022, Wolfram Quellmalz
Am kommenden Mittwoch ist auch die Eule-Orgel des Kulturpalastes wieder Teil des Dresdner Orgelzyklus‘. Hansjörg Albrecht (München) spielt dann Werke von Richard Wagner und Anton Bruckner. Mehr unter: http://www.dresdnerphilharmonie.de oder http://www.kulturpalast-dresden.de