Folgen Sie meinen Anweisungen – oder nicht?

Leonidas Kavakos musizierte mit der Sächsischen Staatskapelle Dresden im Gründungstagskonzert symbiotisch

Es ist hochinteressant, zu beobachten, wie Dirigenten mit (ihren) Orchestern arbeiten. Das geschieht (beiderseits) höchst individuell, trotzdem lassen sich manche generelle Strömungen erkennen. Da gibt es Kapellmeister, die beim Umsetzen ihrer Klangidee genauestens anweisen, was sie wollen, andere nehmen stärker war, was das Orchester anbietet, agieren flexibler, dann wieder gibt es solche, die sich die Leitung bewußt mit dem Konzertmeister oder Stimmführer teilen und so Freiräume lassen. Gerade unter Solisten bzw. ehemaligen Solisten findet sich letzterer Dirigententypus häufiger.

Leonidas Kavakos (Mitte) und die Sächsiche Staatskapelle Dresden im Sonderkonzert zum 474. Gründungstag im Dresdner Kulturpalast. Photo: Sächsische Staatskapelle, © Markenfotografie

Leonidas Kavakos ist glücklicherweise kein »ehemaliger« Solist, zu schmerzlich wäre es, auf seine Interpretationen verrichten zu müssen. (Seine Einspielung der Beethoven-Sonaten mit Enrico Pace gehört für die NMB nach wie vor zu den Referenzaufnahmen.) Und wir hätten gestern auf Kavakos als Solisten verzichten müssen.

Am 474. Gründungstag der Sächsischen Staatskapelle Dresden, vormals Sächsische Hofkapelle, auch Kurfürstlich-Sächsische und Königlich-Polnische Kapelle, traute sich das Orchester endlich wieder einmal, Bach in einem großen Sinfoniekonzert zu spielen. Nicht nur das – das Sonderkonzert fand im modernen Saal des Dresdner Kulturpalastes statt. Natürlich ist die Kapelle kein Originalklangensemble – soll sie auch nicht sein – um so schöner war es, nun wieder einmal ihren Johann Sebastian Bach zu hören. Mit dem Violinkonzert d-Moll (Rekonstruktion nach dem Cembalokonzert BWV 1052) stellte sich Leonidas Kavakos als Solist und Leiter vor, schon hier vertraute er auf die Führungsqualität von Tibor Gyenge, was bestens gelang. In der kleinen Besetzung (6 erste Violinen, 5 zweite, vier Violen etc.) konnten sich nicht nur die kontrapunktischen Verwebung herausbilden, sondern ebenso eine besondere, feine Stimmung. Der Beginn des Adagio klang nach Winter, als habe nicht Bach, sondern Schubert oder Purcell das »Bild« vorgegeben. Dazu kam, daß das Orchester auf Vibrato fast verzichtete – der schlanke Klang ermöglichte ein vielfältiges Hinhören und Entdecken. Auch beim Solisten: Leonidas Kavakos‘ Violine klang nicht vordergründig nach Bach, sondern italienisch oder venezianisch, mit einem klaren Ton, wobei der Solist sich der Idiomatik von Darmsaiten annäherte –gesanglich, manchmal von einem Hauch »Nebel« gedämpft – Fragilität nicht scheute und dem Konzert mit seiner Risikobereitschaft einen lebendigen Gestus aufprägte, der nicht aus eingeübten Effekten entsprang, sondern aus einem symbiotischen Musizieren, einem Verbund mit dem kleinen Orchester.

Dieses »wuchs« nun, die Besetzung wurde etwas größer, Tibor Gyenge behielt aber bis zum Schluß die Konzertmeisterposition. Im Fall von Sergej Prokofjews Sinfonie Nr. 1, der »Symphonie classique«, könnte man die Sächsische Staatskapelle quasi doch als »Originalklangensemble« bezeichnen. In kammermusikalischer Aufstellung konnten sich Bläsersoli ebenso frei hervortun wie sich Wechselspiele zwischen einem charmant repetierenden und modulierenden Fagott (Thomas Eberhardt) mit den Violinen offenbarten. Leonidas Kavakos, nun allein Dirigent, blieb bei seinem symbiotischen Austausch mit den Musikern.

Das gibt viel Freiheit, fördert nicht nur den Gemeinsinn, sondern sorgte für beglückende Momente, hier und da freilich hätte eine zielgerichtete Anweisung für mehr Fokus gesorgt. So lief das Molto vivace am Ende des dritten Satzes in Antonín Dvořáks achter Sinfonie ein wenig ins Leere. Solch kleine Unpäßlichkeiten verschmerzt man aber um so lieber, wenn sich das Werden, das Entstehen so musikalisch und musikantisch ergibt, wie es gestern der Fall war. Gerade Dvoráks Sinfonie profitierte von der Freizügigkeit, die ihr Leichtigkeit verlieh. Freilich gab es nun – im Gegensatz zu Bach – reichlich Vibrato. Es sorgte schon im Allegro con brio für einen erfrischenden, belebenden Sturm, der nach dem wunderbaren Beginn (dunkle Streicher und Bläser – wie herrlich!) anhob. Die Blechbläser bis hin zur Tuba (Constantin Hartwig) vergoldeten damit einen schönen Abend, später kehrte, mitten im böhmischen Streichermelos, das Fagott mit seinen kecken Soli wieder. Da darf man doch gespannt sein, was im nächsten Jahr passieren wird, immerhin steht dann ein viertel-, wenn nicht halbrunder Geburtstag (475.) auf dem Plan …

23. September 2022, Wolfram Quellmalz

CD-Tip: Leonidas Kavakos, Enrico Pace, Beethoven Sonaten für Violine und Klavier, Gesamtaufnahme (3 CDs im Schuber), wieder erschienen bei Soni classical

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