Strauss traf Schütz

Serkowitzer Volksoper (ver)führte zwei wichtige Dresdner Komponisten zur Zwangsheirat

Die Sommerinszenierungen der Serkowitzer Volksoper in der Dresdner Sommerwirtschaft Saloppe sind jedes Jahr sehr zuverlässig unterhaltsam-niveauvolle Beiträge, denen es gelingt, zwei Pole zusammenzubringen, die durchaus nicht unvereinbar sind: hohe Kunst und Unterhaltung. (Etwas Selbstironie und Ehrfurcht auf der einen wie der anderen Seite darf man schon voraussetzen.) Das gelang bisher mit sehr frei nacherzählten Opern incl. Persiflage wie »Johotrallala« nach Carl Maria von Webers »Der Freischütz« (2013) oder auch in der Verschmelzung mehrerer Stücke, wie es 2020 mit »Diener dreier Herren« geschah, bei dem sich die Wege von Mozarts Don Giovanni und Goldonis Diener zweier Herren kreuzten (2020 [NMB berichteten]).

Lebendiges Ensemble: »Dafne auf Naxos« mit der Serkowitzer Volksoper, Photos: Serkowitzer Volksoper e. V., © Robert Jentzsch

In diesem Jahr fiel der Spagat noch etwas größer aus, denn bei »Dafne auf Naxos« (Inszenierung: Wolf-Dieter Gööck) traf Richard Strauss auf Heinrich Schütz – in einem Kulturhaus der DDR am Tag vor dem Abriß. Hier sollten sowohl eine neue Operette als auch die Rekonstruktion von Schütz‘ einziger Oper (»Dafne«) am gleichen Abend (ur)aufgeführt werden. Ähnlich wie in Strauss‘ Ariadne geht es derweil drunter und drüber: die Opernbesetzung ist unvollzählig, im Saal, wo die Operette stattfinden soll, kracht der Kronleuchter von der Decke. Der »Hausherr« – gedanklich schon mit der Abwicklung beschäftigt – trägt nicht gerade zur Lösung bei …

Und so verflechten sich beide Stücke und die Musiken – noch über Strauss und Schütz zu deren Zeitgenossen hinaus. Was als Idee ganz witzig klingt, wurde auch so auf die Bühne gebracht, aber geistvoll, wobei wohlgemerkt beide Seiten ihren Spaß hatten – die Freunde der Alten Musik (so sie selbstironisch genug waren, sich das »Sakrileg« anzutun) wie jene der Unterhaltung, die doch von Schütz genug verstehen mußten. Daß die Serkowitzer Volksoper das Volk (oder ihr Publikum) aber auch so »abzuholen« versteht, zeigte sich schon vor Beginn, denn selbstverständlich gibt es die Begrüßung vom Band auf tschechisch und japanisch.

Eine Besetzung à sechs Personen scheint klein, jedoch war das Ensemble wandlungsfähig, so daß es mehrere Rollen übernehmen konnte, und dies im doppelten Sinn: denn neben der programmatischen Mehrfachbesetzung gab es auch jene zum Stück gehörende: Soubrette Leila Schütz mußte spontan als »Venus« einspringen, weil dem Opernensemble im Kulturhaus die Sängerin fehlte.

Mehr Komik als Tragik: »Dafne auf Naxos« mit der Serkowitzer Volksoper, Photos: Serkowitzer Volksoper e. V., © Robert Jentzsch

In weiteren Mehrfachrollen waren Julia Böhme (Alt) und Cornelius Uhle (Baß) zu erleben, außerdem Dorothea Wagner (Sopran), Jonathan Mayenschein (Altus) und Philipp Schreyer. Ihr Spiel war nicht nur spontan, sondern mit Freude geboten und hatte oft improvisatorische Freiheit. Im Mittelpunkt stand (ähnlich Strauss‘ Ariadne) meist das mit den Problemen kämpfende Ensemble, die erzählten Geschichten waren vor allem wichtig, weil sich die Inhalte im Leben, im Berufsethos spiegelten – oder ist das zu hoch gegriffen? Wohl kaum, wenn man Ensemble-Neuzugang Jonathan Mayenscheins (Cupido) Mimik beobachtete, als die Ersatzvenus plötzlich aus der Rolle fiel und das »Weiße Rössel am Wolfgangsee« trällerte. Kaum weniger köstlich: Philipp Schreyer als etwas goldlockiger, kein Klischee auslassender Apoll, welcher der widerstrebenden Nymphe Dafne (Julia Böhme) nachstellt – hier hatte zwar Amors (Dorothea Wagner) Pfeil getroffen, doch die Dinge verdreht, statt sie in Ordnung zu bringen.

Für die herrliche Ausstattung hatte Katharina Lorenz gesorgt. Sie fand die treffenden Attribute für Personen und Szenen, verzerrte aber vieles humorvoll – so wurde ein erlegter Drache von einer riesigen Hummerschere symbolisiert. Ohnehin trug eigentlich immer die Brücke des Wortwitzes, was die Symbolik relativiert. Cornelius Uhle (unter anderem Impresario) schien ein paarmal aus dem Stück auszubrechen, nicht nur, als er scheinbar gegen den Willen des Instrumentalensembles Ovid zu rezitieren versucht (aber wiederum vom Original abweicht) oder nach der Pause jemand im Publikum mit Kaffee UND KUCHEN (!) an seinen Platz zurückkehrt. Die Instrumentalisten hatten dabei nicht nur verschiedene Klänge zu produzieren, sondern fungierten darüber hinaus als Chor und »Zwischensprecher«. Michael Schütze stellte sein e-Piano auch einmal auf »Orgel« um, Daniel Rothe spielte Saxophon, Klarinette und Chalumeau so gekonnt, daß man ihm die Zink-Parodie glatt abnahm, Karina Müller und Dietrich Zöllner (hohe und tiefe Streichinstrumente) sorgten ihrerseits für einen wandlungsfähigen Orchesterklang.

Hier trafen nicht nur Strauss und Schütz zusammen, hier traf sich die ganze Musikgeschichte (und die jüngere Vergangenheit), schien es – und brach der Alten Musik keinen Zacken aus der Krone, wenn sich österreichische Operette und Schütz‘ Musica practica berührten. Bei Zeilen wie »über den Ochsen auf der Au | senkt sich die Liebe wie Morgentau« oder einem melismatisch gedehnten Banaltext (»bummle nicht«) wäre das selbst den größten Sauertöpfen wohl kaum möglich gewesen!

Unfaßbar blieb letztlich nur Dafne – in der Tat ging die Musik zu Heinrich Schütz‘ Stück ja tatsächlich verloren. Oder ging es um ganz etwas anderes? Ging es vielleicht um Daphne alias Jerry (Jack Lemmon in »Manche mögen’s heiß«)?

26. September 2022, Wolfram Quellmalz

Nächstes Programm der Serkowitzer Volksoper: »Kapitän Nemo – 20.000 Noten unter dem Meer«. Ab Freitag (30. September) auf der Laubegaster Werft. Mehr zu Programm und Terminen unter: http://www.serkowitzer-volksoper.de

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