»Wir sind berauscht!«

Daniele Gatti kehrt mit einem Schumann-Programm zur Sächsischen Staatskapelle zurück

Die Sächsische Staatskapelle Dresden konzentriert sich im 3. und 4. Sinfoniekonzerte quasi auf je ein Thema – am Sonntagvormittag stand ganz Robert Schumann im Fokus. Und wo Schumann im Mittelpunkt ist, darf Brahms dabeisein – die Variationen über ein Thema von Joseph Haydn B-Dur Opus 56a rundeten das Paket ab, ohne Fremdkörper zu sein.

Die Sächsische Staatskapelle Dresden am 23. Oktober in der Dresdner Staatsoper, Leitung: Daniele Gatti, Photo: Sächsische Staatskapelle Dresden, © Oliver Killig

Dabei ist es gar nicht lange her, daß Robert Schumann ganz dezidiert und programmatisch betrachtet wurde – doch jeder Dirigent hat seine Sichtweise. Die von Daniele Gatti ist unmißverständlich zupackend, manchmal treibend, energiereich, sanguinisch sozusagen (paßt zu Brahms) – eine Besucherin resümierte nach dem Konzert »Wir sind ganz berauscht!« Es war ein Rausch ohne Schaden oder bittere Nachwirkung, denn er ließ – ob Variation oder Märchenbild – die schumannesken Details intakt.

Mit einem (quasi) Märchenbild begann das Programm. Immerhin war dieses gegenüber der ursprünglichen Planung noch ein wenig gewachsen: statt nur einer Overtüre (»Die Braut von Messina«) gab es deren zwei vor jedem der beiden Konzertteile. Dennoch schien der Umfang (nur 70 Minuten Musik) nicht zuletzt angesichts gestiegener Kartenpreise etwas dürftig.

Die »Genoveva«-Ouvertüre erwies sich als pittoreskes Kleinod, das die Handlung Robert Schumanns einziger Oper knapp umreißt. Daniele Gatti ließ sie heraufdämmern, entwickelte schon hier einen unwiderstehlichen Sog, den die Streicher auslösten. Die Bläser konnten sich darin einreihen oder in leuchtender Ornamentik darüber ihre Soli bieten.

Gattis Differenziertheit wurde in Johann Brahms‘ Variationen vielleicht noch deutlicher. Von jeder Behäbigkeit befreit (ohne den Charme einzubüßen) setzte der Dirigent zunächst mit dem lange ausklingenden Thema ein Achtungszeichen, um fortan die Variationen sorgsam auszuformen. Die (flüchtige) Bedächtigkeit des ersten Andante erinnerte an ein Requiem, das zweite wuchs in Erhabenheit, das jedoch sich ebenso leicht und flexibel wendete – Monumentalität ist Gatti fern. Noch stärker unterschied er die beiden Vivace-Sätze, immerhin stehen sie in direkter Folge. Auf Vitalität folgte Agilität, fast schon Jagdatmosphäre. Unter den Bläsern begeisterte besonders die Oboe von Johanna Stier (Gast).

Die zweite Ouvertüre von Robert Schumann, »Hermann und Dorothea« nach Goethes Versepos, gab sich deutlich sinfonischer als die malerische vom Beginn, rief Erinnerungen an das Cellokonzert des Komponisten wach, stand aber letztlich etwas »nüchtern« mittendrin.

Jede Nüchternheit gab Daniele Gatti mit der Sinfonie Opus 120 d-Moll, in ihrer überarbeiteten und »gültigen« Form als vierte gezählt, auf. Groß und sich aus weiter Ferne nähernd, wuchs sie nicht nur mit dem Rufen des Blechbläserchores – Daniele Gatti schärfte die Akzente, der erste Satz schien wie im Feuer gereinigt, dennoch blieb auch hier jedes noch so feine Detail, jedes kleine Solo erhalten. Ohnehin attacca gebunden wirkte diese »Energietour« mitreißend – dachte da noch jemand an die Möglichkeit von mehr Gelassenheit?

In der Romanze war Daniele Gatti ganz nah am Brahms-Lied (was zum »Themenvormittag« paßte), fand in den Wechseln des dritten Satzes ebenso neue Impulse wie Entspannung (solche Momente fehlten denn nicht). Oder fehlte da noch ein Akt?

23. Oktober 2023, Wolfram Quellmalz

Im nächsten Sinfoniekonzert dirigiert Christian Thielemann ausschließlich Werke von Felix Mendelssohn (Solistin: Julia Fischer / Violine).

http://www.staatskapelle-dresden.de

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