Ein feste Burg ist unser Gott

Kreuzorganist Holger Gehring im Dresdner Orgelzyklus

Die Konzerte des Dresdner Orgelzyklus sind im allgemeinen weniger am Kirchenkalender ausgerichtet, manchmal aber, bei besonderen Gelegenheiten, reflektieren sie zum Beispiel auf hohe Feiertage. Kreuzorganist Holger Gehring hatte das Programm seines »Gastkonzertes« in der Dresdner Frauenkirche am Mittwoch auf den bevorstehenden Reformationstag ausgerichtet. Gleich viermal stand der Choral »Ein feste Burg ist unser Gott« im Mittelpunkt – auf sehr unterschiedliche Weise.

Von links: Otto Nicolai (Lithographie von Josef Kriehuber), Heinrich Scheidemann, Michael Praetorius, Bildquelle: Wikimedia commons

Wer hätte schon daran gedacht, daß sogar Otto Nicolai darüber eine Kirchliche Fest-Ouvertüre geschrieben hat? Der Komponist ist uns vor allem als Gründer der Wiener Philharmoniker in Erinnerung, mehr noch als Verfasser der Oper »Die lustigen Weiber von Windsor« (welche scheinbar gerade wieder in Mode gekommen ist und hier wie da neu aufgelegt wird – wir nehmen demnächst eine Aufführung in Freiberg »unter die Lupe«). Doch Otto Nicolai war noch viel mehr – 1847 erhielt er einen Ruf nach Berlin und wurde Leiter des Königlichen Domchores sowie Kapellmeister der Preußischen Hofoper und schuf für den Dom einige geistliche Werke (unter anderem auch die Weihnachts-Ouvertüre über den Choral »Vom Himmel hoch, da komm ich her«, WoO109).

Nicolais Fassung von »Ein feste Burg« fiel sehr getragen-festlich aus. Holger Gehring nutzte den Kontrast des Fernwerks, um bei der in der Frauenkirche von weit oben klingenden Kern-Orgel den Eindruck einer Himmelsstimme zu unterstreichen.

Daß die älteren Werke einen recht anderen Eindruck erweckten, lag nicht nur am Stil der Musik – es wurde (wieder) deutlich, daß immer auch eine Wechselwirkung zwischen Komposition und zur Verfügung stehenden Instrumenten besteht. Heinrich Scheidemanns Choralphantasie umspielte die Melodie des Cantus Firmus, die »norddeutsche« Helligkeit hatte etwas Beruhigendes und Beglückendes zugleich. Das kleine Meisterwerk wurde noch übertroffen von der Choralphantasie Michael Praetorius‘, einem der Lehrer Heinrich Scheidemanns, dessen noch helleres und noch strahlenderes Werk unter den Stücken mit Bezug zum Feste-Burg-Thema den festlichsten, aber auch meisterhaftesten Eindruck machte, bis hin zur kunstvollen Verarbeitung von Passacaglia-Figuren. Der eigentliche Choral drang schließlich (wieder) durch diese Ornamentik, um seine Botschaft zu verkünden – schon im Konzert war der Eindruck ungeheuer, wie mag es damals im Gottesdienst gewesen sein?

Natürlich wäre es verfehlt und respektlos, in bezug auf Johann Sebastian Bachs Choralverarbeitung BWV 720, die zwischen Scheidemann und Praetorius erklang, von »gewöhnlich« oder ähnlichem zu sprechen, zumal nicht Kunstfertigkeit allein für die Ausprägung der Orgelmusik verantwortlich war, sondern auch Gewohnheiten und Stil bzw. Zeitgeschmack, doch im direkten Vergleich wurde der Thomaskantor – zumindest für den Moment – zweimal übertroffen.

Zwei Orgelstücke aus dem Opus 59 Nr. 7 von Max Reger (Kyrie eleison und Benedictus) gaben Gelegenheit zum Innehalten. Vom Komponisten nicht direkt mit einem liturgischen Auftrag bedacht, durfte hier Schimmer bzw. Stimmung einmal kontemplativ den Vorzug gegenüber Inhalt oder Text behalten.

Mit César Francks Final B-Dur gab es zu den Festen (das Konzert war nicht allein auf den Reformationstag bezogen, Francks 200. Geburtstag wog ebenso schwer) mit Fanfaren einen entsprechend feierlichen Ausklang. Auch hier – der von oben kommende Klang schien sich mit den Farben der Kirchenausmalung und dem Gold der Verzierung zu verbinden – wirkte der Innenraum wieder mit, so wie eigentlich keine Orgel allein, ohne ihre direkte Umgebung denkbar ist.

Mit dem zweiten Satz aus Felix Mendelssohns Orgelsonate Nr. 3 als Zugabe verabschiedete sich Holger Gehring vom Publikum – vorübergehend.

28. Oktober 2022, Wolfram Quellmalz

Kreuzorganist Holger Gehring wird auch bei zwei der letzten Konzerte des Dresdner Orgelzyklus‘ in diesem Jahr zu erleben sein. Am 9. November spielt er in der Katholischen Hofkirche (Kathedrale, »Mitten zwischen Allerseelen und Bußtag«) Musik von Reincken, de Grigny, Bach und Mozart, am 30. November schließt er die Reihe in der Kreuzkirche ab (»Süßer die Glocken nie klingen« mit dem Handglockenchor Gotha). Am kommenden Mittwoch spielt Matthias Dreißig (Erfurt) in der Kreuzkirche Mitteldeutsche Orgelmusik. Beginn jeweils 20:00 Uhr.

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