Collegium 1704 poliert in der Dresdner Annenkirche Barockperlen auf
Man hätte es sich festlicher wohl kaum wünschen können (es sei denn, mit dem in die Ankündigung gerutschten Johann Friedrich Fasch, von dem jedoch leider kein Werk erklang). Václav Luks und das Collegium 1704 kamen diesmal zwar ohne ihren Chor, glichen dies aber mit prächtigen instrumentalen Stücken sowie einer herausragenden Sopranistin aus – aber von ihr später mehr.
Denn zunächst erklangen Stücke, die mit »L’estro armonico« (harmonische Eingebung) eigentlich kaum ausreichend beschrieben scheinen, auch wenn der Komponist den Untertitel zum Crédo erhoben hatte. Er meinte damit nicht eine »gute Idee«, sondern wollte die Bedeutung der Harmonie betonen. Harmonie ist nichts weniger als eine höhere Form der Ordnung. Doch selbst das beschriebe unzureichend, was gestern in der Dresdner Annenkirche zu hören war (wer hört schon »Ordnung«!). »Glitzernd« (scintillante) trifft es vielleicht eher, oder »glanzvoll« (affascinante). Da klingen die Wörter wenigstens annähernd wie das, was Václav Luks musikalisch bot.
Zwei Concerti Antonio Vivaldis, für Violine, zwei Oboen, zwei Hörner, Violinen und Streicher (bzw. für Violine, zwei Oboen, zwei Hörner, Streicher und Basso continuo, RV 574) sowie das schlicht Concerto titulierte RV 577 rahmten den instrumentalen Teil des Abends. Harmonisch verblüffend war, wie sich die Stimmen ergänzten und spiegelten, ohne einander den Rang abzulaufen. Gerade RV 577 ist eben nicht im Stile der Concerto grossi gehalten, bei denen sich die Solisten abwechseln. Das Collegium 1704 verband einen unwiderstehlichen, mitreißenden musikalischen Sog und wahrte die Balance der Einzelstimmen – selbst die Traversflöte hörte man heraus, im Grunde ein Paradox, dieses Panorama der Instrumente! Rhythmisch wie melodisch erstklassig, wobei Anklänge an die Jagd (RV 574) ebenso geboten wurden wie feine Kantilenen. Wie immer gilt: Der Basso continuo ist die Basis. Dazu zählen nicht nur Fagott und tiefe Streicher, sondern auch das charakterliche Gegenüber von Cembalo (Václav Luks) und Orgel (Pablo Kornfeld). Leon Jänicke, der kurzfristig vertretungsweise ins Orchester gekommen war, wechselte beständig von der Gittarone (Theorbe) zur Barockgitarre, um lebhafte, punktierte Sätze und geschmeidige, lyrische entsprechend zu begleiten. Einmal mehr glänzten die Solisten Ivan Iliev (Violine) und Helena Zemanová (Konzertmeisterin), Katharina Andres und Petra Ambrosi (Oboen) sowie Julie Braná und Lucie Dušková (Flöten). Das erste Concerto hatten Jiři Tarantík und Miroslav Rovenský (Hörner) wundervoll ausgeleuchtet.
Zwischen die beiden Werke hatte Václav Luks als geschmeidigen Ausgleich Johann Georg Pisendels Sonata in c per orchestra gesetzt. Die Werkbezeichnung scheint eine glatte Untertreibung, der venedigerfahrene Pisendel hatte dem munteren Allegro ein Largo vorangestellt, daß man sich schöner nicht denken kann.

Collegium 1704 in der Annenkirche, vorn: Mirella Hagen (links), Václav Luks, Leon Jänicke (Barockgitarre), Photo: NMB
Ohne Gesang ist das Collegium 1704 kaum vorstellbar – diesmal brachten die Prager Sopranistin Mirella Hagen mit, die nach einer kurzen Pause Antonio Vivaldis Laudate pueri (RV 601) veredelte. Solokantaten oder eben Psalmvertonungen wie in diesem Fall sind an sich schon etwas Besonderes. Das stellt jedoch enorme Anforderungen an den Interpreten! Mirella Hagen verfügt nicht nur über eine ausreichende Tessitura, sie kann auch dramatisch gestalten, glitzernde Höhen erklimmen, Koloraturgirlanden perlen lassen – und weiß doch im nächsten Moment mit feinstem Piano zu betören!
8. Dezember 2022, Wolfram Quellmalz
Nun heißt es warten – im kommenden Jahr gibt es kein Konzert am Neujahrstag mit dem Collegium 1704 in der Annenkirche. Aber am 13. Februar kehren die Prager wieder zurück. Dann steht eine »Apotheose des Tanzes« (Joseph Haydn: Sinfonie Nr. 98 B-Dur, Ludwig van Beethoven: Sinfonie Nr. 7 A-Dur) auf dem Programm.
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