Die Kapelle kennenlernen

Kammerabend rückt erst Streicher und dann Bläser in die Bühnenmitte

Es war bei weitem nicht das erste Mal, daß zwei vollkommen unterschiedliche Konzerthälften einen Kammerabend der Sächsischen Staatskapelle prägen, auch den Schlagwerkern gehörte schon einmal dieses Podium. Mithin muß es also gar nicht immer eine musikdramaturgische Bindung sein, welche die Programmgestaltung vorgibt, sondern das Orchester, sein Organismus selbst. Die Kapelle kennenlernen – wo würde das besser passen als in einem Kammerabend, wie er 1854 vom »Tonkünstler-Verein zu Dresden« ins Leben gerufen wurde?

Streicher und Blechbläser – die Sächsische Staatskapelle glänzte hier wie da, Photos: Sächsische Staatskapelle Dresden, © Oliver Killig

Mit Bearbeitungen ist es ja so eine Sache. Es gibt mehr und weniger gelungene. Gerade wenn es darum geht, einen Klaviersatz auf ein Trio, Quartett oder gar mehr zu übertragen, wird oft zu viel des Guten getan. Das Verteilen von Stimmen führt zu einem Hervorheben, das Inniges lösen und überstarke Betonungen setzen kann. Es gibt aber geglückte, ja glückliche Beispiele. Richard Tognetti, den meisten eher als Violinvirtuose bekannt, ist es in seinem Arrangement Ludwig van Beethovens »Kreuzersonate« zum Beispiel geglückt, den Klaviersatz gleich auf ein ganzes Streicherorchester zu übertragen – ganz ohne Verluste oder »Zudichtungen«. Ein seltener Fall: das Opus 47 scheint weniger wie eine Bearbeitung als daß es ein neues Werk, ein Concertino, geworden ist. Und blieb doch Beethoven.

Wenn man sich nicht über die Bearbeitung ärgern muß, kann man die Musik viel besser genießen. Solist Lukas Stepp (Konzertmeister 2. Violinen) und das ihn umschließende Orchester (mit dem Stellvertretenden Konzertmeister Federico Kasik als Primarius) begeisterten mit einem noblen, geschlossenen Klang – die ehemalige Klavierstimme zerfiel an keiner Stelle, blieb ein geschlossenes ganzes – und kammermusikalisch-intimen Momenten. So spielte im zweiten Satz nur der »innere Kreis« der Streicher (einzeln besetzte Instrumente), um den agil auftrumpfenden Solisten. Da war nichts Show, sondern von der Violine bis zum Kontrabaß (Viktor Osokin) gediegener, aufregender Beethoven, als habe der es genau so geschrieben!

Nach der Pause agierten die Blechbläser, welche allerdings krankheitsbedingt binnen zweier Tage ein vollkommen neues Programm auf die Beine stellen mußten, wie Tubist Constantin Hartwig launig erzählte. Blechbläser sind im Orchester ein bißchen wie die Krimischreiber unter den Autoren – die besonders unterhaltsamen, heiteren Leute. Das merkte man nicht nur an den Kommentaren (die aber trotzdem »von der Musik« kamen und nicht von irgendwo draußen), sondern ebenso an manchem Stück, wie einer herzigen Bearbeitung von Fritz Kreislers »Liebesfreud« oder einem Weihnachtsliedermedley zur Verabschiedung.

Vor diesen beiden »Ausflügen« gab es zwei Titel, die typisch sind für die Kapelle bzw. ihre Musiker: Richard Strauss‘ (immerhin war sein Vater Hornist) hatte verschiedene Stücke für Blechbläserensemble oder -chöre geschrieben. Vor zwei Jahren spielte die Kapelle zwei seiner Fanfaren im Kulturpalast, jetzt kam Strauss in einer Bearbeitung mit der »Festmusik der Stadt Wien« (TrV 286) zu neuem Glanz. Ein Original war dagegen ein Quintett Victor Ewalds. Bemerkenswert, daß der Komponist im Hauptberuf Cellovirtuose war! Wie ihre Kollegen verzückten auch die Blechbläser (außer der Tuba noch Helmut Fuchs und Anton Winterle / Trompete, Marie-Luise Kahle / Horn und Louis Rémy / Posaune), konnten kernig klingen, sagenhaft weich ansetzen (Horn!) und zeigen, daß das Prädikat »superb« nicht den Streichern allein vorbehalten ist.

9. Dezember 2022, Wolfram Quellmalz

Auch der nächste Kammerabend bringt eine Bearbeitung, erneut wird es ein Konzert im Sonderformat. Am 20. Januar stehen Johann Sebastian Bachs Goldberg-Variationen (BWV 988) in der Fassung von Dmitri Sitkovetsky mit Jörg Faßmann (Violine), Sebastian Herberg (Viola) und Michael Pfaender (Violoncello) auf dem Programm.

http://www.staatskapelle-dresden.de

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