Ein Abend für den Organisten

Thierry Escaich spielte mit der Philharmonie – nicht nur Escaich

Residenzkünstler Thierry Escaich übernahm in den Sinfoniekonzerten der Dresdner Philharmonie am Wochenende nicht nur zweimal die Solistenrolle, er spielte sein Instrument auch nach der Pause in Edward Elgar »Enigma-Variationen«.

Thierry Escaich, Photo: © Marie Rolland

Zu Beginn stand Thierry Escaich zwar nicht ohne Orchester im Rampenlicht des Kulturpalastes, doch rückte er dennoch etwas prominenter hervor – als Komponist von »La barque solaire« (Sonnenbarke). Thierry Escaich ist sowohl amtierender »Palastorganist« als auch Composer in Residence. Und er verführte ein weiteres Mal. Von Schlagzeug und Blechbläsern ausgelöst, eroberte »La barque solaire« zunächst in Wellen den Raum. Die Sonne (oder auch etwas Übergeordnetes, Glänzendes, Leuchtendes) offenbarte sich im glitzernden Klang, das Strahlen von Licht und Wärme setzten sich musikalisch fort, schien zu wachsen. Orchester und Orgel blieben dabei sinfonisch verwoben, reine Solopassagen oder gar Kadenzen hat das Werk nicht (oder nur versteckt), Akkordeinwürfe gehörten zum Auffälligsten, was Thierry Escaich solo darbot. Dafür gewann der Gesamteindruck um so mehr, schien geradezu physikalisch (Dichte, Strömung) darzustellen, was eine Sonnenbarke bewegt.

Mit Aaron Coplands Sinfonie für Orgel und Orchester folgte ein weiteres Werk mit dem Solisten als »integriertem Sinfoniker«. Gleichwohl enthält Coplands Werk viele kammermusikalische Paarungen oder Bezugspunkte, ließ in kurzen Sequenzen Viola (Christina Biwank) oder die Flöten hervortreten bzw. die Führung übernehmen. Streicher und Orgel standen sich im sinfonischen Gehalt auf Augenhöhe gegenüber. Dirigent Stanislav Kochanovsky hielt gerade in den ersten beiden Sätzen eine schlanke Durchhörbarkeit aufrecht, das Scherzo prägten immer wieder solistische Holzbläser, während die Streicher für einen sachten Sonnenschimmer sorgten. Der dritte Satz stand den beiden vorangehenden um einiges gewichtiger gegenüber, ließ immer wieder an Schostakowitsch denken. Zwar war das Tutti deutlich kräftiger, vielstimmiger, dennoch waren Orchester, Solisten und Orgel differenziert zu verfolgen.

Welches der beiden Werke bisher die »Nase vorn« hatte, war nur zu vermuten, die Bitte um eine Zugabe war dagegen nachdrücklich. Thierry Escaich, offenbar bestens aufgelegt und wohl auch mit Freude am Instrument, kam dem gerne nach und zeigte, daß der Notentüftler auch einmal ganz spontan improvisieren kann – wieselflink zu Beginn, steigerte er sich virtuos in einen wilden Ritt!

Da hatten es Edward Elgars »Enigma-Variationen« fast schon schwer, nicht angestaubt zu klingen. Stanislav Kochanovsky staubte sie sauber ab, hob die Eleganz hervor, bewahrte »Nimrod« vor allzuviel Pathos (was aber eine recht lange Pause teilweise aufhob) und zeichnete die Figuren keck, auch humorvoll (Klarinette: Fabian Dirr) heraus, blieb sonst aber unauffällig. Manches, auf das Elgar heimlich anspielt und das für uns heute entschlüsselt ist (wie wir glauben), ist durchaus köstlich anzuhören, wie das angeblich schwerfällige Bratschenspiel einer Freundin des Komponisten.

Für einen der Philharmoniker war es der letzte Einsatz: Kontrabassist Donatus Bergemann wurde nach 43 Dienstjahren in den Ruhestand verabschiedet.

21. Januar 2023, Wolfram Quellmalz

Thierry Escaich übernimmt auch bei seinem nächsten Auftritt im Kulturpalast eine Sonderrolle: Am 19. Februar begleitet er den Stummfilm »Sonnenaufgang – Lied von zwei Menschen« von Friedrich Wilhelm Murnau.

http://www.dresdnerphilharmonie.de

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