Wen die Götter lieben

Sächsische Staatsoper schließt zweite »Ring«-Aufführung ab

Endzeitstimmung in Dresden – nach der »Götterdämmerung« fiel am Freitag der (vorerst) letzte Vorhang. Zweimal hatten Christian Thielemann und sein Orchester mit einem erlesenen Ensemble und dem Sächsischen Staatsopernchor im Januar und Februar Richard Wagners »Der Ring des Nibelungen« aufgeführt. Gleichzeitig emotional aufwühlend und tief berührend wurde die Geschichte von Neuanfang und Ende erzählt – und warf die immer gleichen Fragen auf. Kann etwas glücklich geraten, wenn schon das »Startkapital« auf unrechtem Wege erlangt wird? Und ist das Ende nun ein Untergang oder nur die Vorstufe für einen neuen Zyklus? (Wirkt das Feuer in Walhall wie eine Reinigung, nach der dann, später einmal …?)

Das »später einmal« war eines der vielbesprochenen Themen in diesen Tagen. Und manche spürten eine Endzeitstimmung schon mitten im Hoch der Aufführungen. Dabei sollte man sich wirklich hüten – die Unzuverlässigkeit der Prophetie wächst bekanntlich, je weiter man in die Zukunft zu blicken versucht. Tatsächlich einen »Schluß« machte nur Waltraud Meier (Waltraute), die – nach Ansage – ihren Bühnenabschied mit Wagner nahm und von Christian Thielemann bzw. der Sächsischen Staatskapelle innig umfangen wurde. Die Waltrauten-Szene gehörte zu jenen Passagen, in denen der Kapellchef seine sagenhafte Flexibilität und sein Ohrenmaß dazu nutzte, sich auf Sänger einzustellen, das Orchester einmal »zurückzufahren«. Meiers anfangs leicht herber Klang ist einerseits charakteristisch (und erinnerte den Rezensenten unvermittelt an ihre Bayreuther Ortrud), fügte aber nicht nur der Figur, sondern der Szene eine Nuance Unwägbarkeit und Schatten hinzu – Brünnhildes (Ricarda Merbeth) Euphorie, wiewohl ungebrochen, wird das Schicksal nicht mehr wenden können … Waltraud Meier ist nach wie vor wandelbar – Waltraute, die Brünnhilde beeinflussen, ihr ausreden will, der Leidenschaft zu folgen (»Wehre der Wallung, achtsam höre mich an!«), verlor mehr und mehr herben Beiklang und kleidete ihr Mahnen und Flehen in ein lyrisches Gewand. Daß sich beide in ihren Gewändern – gleichermaßen im Bühnenbild (Wolfgang Gussmann, Frauke Schernau) – in rot und schwarz begegneten, den Farben des Skorpions, trug zum Reiz der Inszenierung bei, denn es ist eines jener Merkmale, die Emotionen verdichten und eine Symbolik aufgreifen, ohne daß diese (lästig) aufgesetzt und kommentierend wirkt.

Waltraud Meier (vorn, Waltraute), Ricarda Merbeth (Brünnhilde), Photo: Sächsische Staatsoper, © Ludwig Olah

Willy Deckers Fassung sind viele Elemente eingegeben, nicht immer herrschen alle vor. Eine Qualität hat die Inszenierung ohne Zweifel: je öfter man sie sieht, desto mehr kann man darin entdecken. Der Zuschauer entwickelt sich quasi mit. Wenn diesmal also Traum und Taumel bestimmende Elemente waren, dominierten sie deshalb nicht das gesamte Geschehen und Empfinden, sondern blieben Teil eines Narrativs bzw. kommentierten auf höherer Ebene. Die dichte Verwebung von Klang und Bild waren geradezu berauschend – wer wollte da zu denken wagen, dies sei ein Abgesang (Thielemanns Ring in Dresden) gewesen?

Der Lustfaktor blieb nicht nur ungebrochen, er ist eine entscheidende Ingredienz des Kapellmeisters – die Berauschung kommt schließlich nicht von ungefähr. Manchmal wurde er in dieser »Götterdämmerung« dennoch zu heftig. Vor allem im letzten Aufzug gerieten Trauermarsch und Verwandlungsmusiken so laut, daß es fast wehtat. Trotz dieses Übermaßes behielt Christian Thielemann seine differenzierte Ausdeutung und Sängerunterstützung.

Ricarda Merbeth (Brünnhilde), Andreas Schager (Siegfried), Photo: Sächsische Staatsoper, © Ludwig Olah

Vielleicht hatte ihn hier und da ja Andreas Schager (Siegfried) zu einem dynamischen Plus verführt – sein Tenor strahlte nicht nur heldisch, er war schlicht umwerfend licht! Dazu ein einnehmendes Spiel – Siegfried der naive Held war in Deutung und Auslebung absolut überzeugend und avancierte zu einem der Publikumslieblinge. Im Übermut riß Andreas Schager seine Partnerin Brünnhilde beim Schlußapplaus an sich und hob sie hoch.

Zu den Publikumslieblingen zählte ebenso Hagen. Stephen Milling war quasi ein sängerisches Pendant zu Andreas Schager. Stimmlich nicht nur von einer ungeheuren Bühnenpräsenz, fügte auch er mit seinem Spiel der Geschichte ein Element des sagenhaften hinzu. Ricarda Merbeth vervollständigte das geniale Trio mit ihrer Brünnhilde, wie sie schon seit der Walküre begeistert hatte – eine Figur mit Entwicklung. Aus dem Teenager war eine erwachsene Frau geworden, die sich das Feuer der Jugend (oder der Leidenschaft) jedoch bewahrt hat. Wie ihre beiden Kollegen konnte sie mühelos über dem Orchester »schweben«, ihrer Stimme jene Grade Feurigkeit verleihen, welche die Liebe (entflammt oder enttäuscht) sowie die Szene (Walhall / Schluß) erforderten. Wann war ein »tragisches Paar« von derart viel Glanz umgeben wie diese Brünnhilde und dieser Siegfried?

Dabei blieb genug Raum für andere Figuren und kleine, entscheidende Momente, etwa das erste Aufeinandertreffen von Siegfried und Gutrune (»Sind’s gute Runen, die ihrem Aug‘ ich entrate?«). Anna Gabler ließ ihre Gutrune im Glanz der gewonnenen Liebe erleuchten – freilich ist ihr kein dauerhaftes Glück beschieden. Zwischen Brillanz und Leidenschaft gelang ihr eine ausgewogene Balance, zudem war die Figur stimmig im Ensemble eingepaßt. Anders als bei Adrian Eröd (Gunther). Eröd brachte zwar die gewohnten Qualitäten mit, Eleganz und Gediegenheit, im Vergleich wirkten seine Belcantoqualitäten aber schlicht blaß. Eröd schien, an der Sängerkonstellation gemessen, falsch besetzt. Im direkten Vergleich unterlag er Stephen Millings Hagen zu deutlich.

Stephen Milling (Hagen), Markus Marquardt (Alberich), Photo: Sächsische Staatsoper, © Ludwig Olah

Im Gesamteindruck dürfen auch die kleineren Rollen (Nornen: Michal Doron, Kristina Stanek, Daniela Köhler, Woglinde: Lea-ann Dunbar, Wellgunde: Štěpánka Pučálková, Floßhilde: Ann-Beth Solvang) sowie der Sächsische Staatsopernchor (Einstudierung: André Kellinghaus) nicht unerwähnt sein, schließlich gestalten gerade Nornen und Rheintöchter ganz wesentliche Szenen. In diesen entscheidenden Passagen (mit dem Auftauchen der Rheintöchter kündigt sich das Ende unabwendbar an) wie in der szenischen Umgebung konnte die Sächsische Staatsoper mit einer mustergültigen Besetzung aufwarten.

Die über zwanzig Minuten Applaus waren verdient, dem einen oder anderen mochte schon eine Wehmutsträne im Auge gehangen haben, etwa beim Bühnenabschied von Waltraud Meier mit Blumen und Grußwort an die »wunderbare Kollegin« von Christian Thielemann, der dafür das gesamte Orchester aus dem Bühnengraben auf die Bühne geholt hatte. Es sei ihnen eine Ehre, daß Waltraud Meier ausgerechnet hier ihren Abschied feiere, mit ihr sei das Arbeiten immer schön gewesen!

12. Februar 2023, Wolfram Quellmalz

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