Ins Gespräch vertieft mit Bach

Rezital der Capell-Virtuosin Julia Fischer

Im Herbst hatte Julia Fischer nicht nur in Dresden mit Felix Mendelssohns zweitem Violinkonzert brilliert (unseren Bericht finden Sie hier: https://neuemusikalischeblaetter.com/2022/10/26/wir-sind-berauscht/), sie war anschließend mit Christian Thielemann und der Sächsischen Staatskapelle auf Gastspielreise gegangen. Am Donnerstag kehrte sie für einen Rezitalabend in die Semperoper zurück. Anders als sonst meist bei Violinisten brachte sie jedoch keinen Klavierbegleiter mit, sondern spielte solo – Johann Sebastian Bach.

Bach für Violine klingt schon in der Ankündigung nach einem Vermächtnis, es kommt dem auch durchaus nahe. Das heißt aber nicht, daß man in Ehrfurcht erstarren müsse. Julia Fischer widmete sich den Werken mit Feingefühl und Ausgewogenheit, und die Darstellung der Stimmen bzw. die Art, wie sie ihnen nachspürte, läßt vermuten, daß der Violinistin ein besonderer und anderer Zugang als vielen ihrer Kollegen dadurch möglich ist, daß sie das Klavier fast ebensogut beherrscht wie die Geige.

Für die Konzertauswahl hatte sich die Capell-Virtuosin für die drei der sechs Solosonaten Johann Sebastian Bachs entschieden – jene, die nicht dem Suitenmodell folgten, sondern von der Form der Kirchensonate geprägt sind.

Julia Fischer zeigte sich darin als Forscherin und Zuhörerin, als jemand, der zunächst auf Bach eingeht und ihm selbst nachsinnt, bevor er nach außen hin dessen Musik präsentiert. Gerade die langsamen Sätze gerieten so zu intimen Zwiegesprächen, von Bach in den Stimmen angelegt, von Julia Fischer mit Ebenmaß herausziseliert – jede Stimme ließ der anderen Raum, die Balance schien perfekt. In der ersten Sonate (g-Moll / BWV 1001) lotete sie im Adagio Tiefen aus, später nahm das Siciliano zwar erneut Tempo und Temperament zurück, blieb aber leichter, heiterer. Das dialogische Prinzip wurde auch in den schnellen Sätzen deutlich, doch verblüfften diese außerdem mit ihrem erzählerischen, geradezu rhapsodischen Gehalt. (Man könnte glatt glauben, das BWV habe in seiner Numerierung – 1001 – einen Bezug zu »Tausendundeiner Nacht« gesucht!)

Julia Fischer, Photo: © Uwe Arens

Besondere Verbindungen gelangen, wenn sich Allegro oder Presto direkt an den vorangehenden langsameren Satz, der eine Art Prélude-Funktion übernahm, anschlossen. Wobei sich selbst diese Wirkung noch steigern konnte, denn in allen drei Sonaten hatte Bach an zweiter Stelle eine Fuge folgen lassen. Julia Fischer ließ sie sorgsam wachsen wie einen Kristall! Wer es virtuoser mochte und Verve bevorzugt, fand wohl die größte Ergötzung an den Schlußsätzen.

Nicht Steigerung im Programm, sondern Individualität war der Schlüssel zum Zugang. Man konnte den Themen oder versteckten Chorälen nachhorchen oder sich einfach in die Musik »hineinbegeben«. Julia Fischer ist gerade in Hinsicht einer dezenten, wiewohl emotional ausgedeuteten Darstellung ungeheuer gereift, was nicht heißt, daß sie nun zu süffigen, überbordenden Interpretationen neigen würde. Das Programm BWV 1001, 1003 (a-Moll), 1005 (C-Dur) folgte wohl weniger einer Aufwärtsstufung, eher dem Charakterwandel der Tonarten. Und doch war darin ein Wachsen enthalten, was zumindest teilweise wiederum im Zuhören gelegen haben mag. Der spontane, impulsive Zwischenapplaus nach der atemberaubenden Fuge in BWV 1005 war einmal nicht ärgerlich und störend!

Wer so fein timbriert, kann auch ohne Übertreibung und extra Vibrato sinnliche Momente bereiten. Statt der von vielen wohl erwarteten Chaconne spendierte Julia Fischer als Zugabe eine innerlich glühende, äußerlich Ruhe ausströmende Sarabande aus der Partita Nr. 2 (BWV 1004 / d-Moll) – faszinierend!

10. Februar 2023, Wolfram Quellmalz

Die Capell-Virtuosin kommt zurück: Im April ist Julia Fischer sowohl in einem Sonderkonzert als auch in einem Kammerabend der Sächsischen Staatskapelle zu erleben. Im Sonderkonzert (25. April) spielt sie unter der Leitung von Petr Popelka Musik von Josef Suk und Antonín Dvořák, im Kammerabend erklingen unter anderem ein Duo von Bohuslav Martinů als auch Peter Tschaikowskis »Souvenir de Florence«.

http://www.staatskapelle-dresden.de

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